In eigener Sache: Stefan Brüggemann zum Honorarprofessor ernannt
Der IwP-Vorsitzende Dr. Stefan Brüggemann wurde von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zum Honorarprofessor für „Politikmanagement und -Beratung“ ernannt. Zur Meldung…
Der IwP-Vorsitzende Dr. Stefan Brüggemann wurde von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zum Honorarprofessor für „Politikmanagement und -Beratung“ ernannt. Zur Meldung…
58 % der Deutschen wünschen sich laut einer YouGov-Umfrage von Politikern „tiefergehendes Fachwissen“ in mindestens einem Thema. 55 % stellen zudem fest, dass es „zu wenige Experten und zu viele Generalisten“ in der Politik gebe.
Nicht nur tiefergehendes Fachwissen wünscht sich die Mehrheit beim Gedanken an den idealen Politiker, sondern auch grundsätzlich „Berufserfahrung“. Dies gaben 51 % an. Hierbei fällt auf, dass dies besonders Anhängern von CDU/CSU (60 %) und FDP (61 %) wichtig ist. Bei den Anhängern aller anderen Parteien lagen diese Werte darunter (SPD: 49 %, Bündnis 90/Die Grünen: 40 %, AfD 56 %, Die Linke 56 %, Sonstige 54 %).
Immerhin knapp die Hälfte (50 %) der befragten Personen wünscht sich aber auch, dass in der Politik eine „breite Kenntnis zu verschiedenen Themenbereichen“ vorliegt. 28 % wünschen sich für ihren Kandidaten Unabhängigkeit vom Parteiapparat, weshalb auch nur 7 % ein Netzwerk innerhalb der jeweiligen Partei als wichtig erachten.
„Die Zahlen bestätigen, was wir vom IwP nicht erst seit der Pandemie beobachten: Das Vertrauen in sogenannte Berufspolitiker und Netzwerker nimmt ab, während sich die Experten von außen – speziell aus der Wissenschaft – steigender Beliebtheit und vor allem großer Glaubwürdigkeit erfreuen“, kommentiert Stefan Brüggemann (Vorsitzender des IwP) die Umfrage.
Im Auftrag des IwP hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov Anfang Februar fast 2500 Personen in ganz Deutschland befragt. Das Diskussionspapier 1/2024 findet sich hier zum Download.
Am Dienstag, 10. Oktober 2023, von 18-19.30 Uhr, veranstaltet das IwP in Kooperation mit der Universität Bonn eine Podiumsdiskussion zum Thema „Follow the Science? …aber welcher? Herausforderungen wissenschaftlicher Politikberatung“. Nähere Informationen zu Diskussion und Teilnahme finden Sie unter Veranstaltungen.
Institut für wissenschaftliche Politikberatung: Nehmen Sie wahr, dass wir in der Wissensgesellschaft eine höhere Relevanz vom Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik sehen können? Nicht nur als Vorstandsvorsitzender der Volksbank Köln Bonn, sondern auch als Privatmensch, als Mediennutzer, als Wähler – was ist da Ihr Eindruck?
Jürgen Pütz: Am prägnantesten für mich ist die Coronapandemie, in der aus meiner Sicht noch mal wirklich deutlich geworden ist, was auf der einen Seite die Rolle der Wissenschaft ist und welche Rolle die Politik spielt. Wissenschaft soll Informationen geben, Dinge versachlichen, Entscheidungsgrundlagen schaffen. Das ist in meiner Wahrnehmung teilweise auch sehr medial wahrgenommen worden. Viele Wissenschaftler haben das auch genutzt, um ihre Lehre, aber auch ihre Person nach vorne zu bringen. Auf der anderen Seite steht die Politik, die gefordert ist, die Inhalte in pragmatische Lösungen für das Leben der Menschen zu übersetzen. Die Politik muss die Sachverhalte verständlich erklären und damit auch Akzeptanz schaffen. In der Pandemie hat man gesehen, wie schwierig das sein kann. Deutlich wird, dass Politik eben auch die Übernahme von Verantwortung bedeutet. Und der ein oder andere – so hatte ich das Gefühl – hat dann auch versucht, sich hinter der Wissenschaft zu verstecken, nach dem Motto: Das muss so sein, weil die Wissenschaft uns das vorgibt.
IwP: In einer Demokratie hat auch der Ahnungslose das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Glauben Sie, dass das auch dauerhaft ein Problem für die repräsentative Demokratie darstellen würde, wenn zunehmend – Stichwort Expertokratie – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Ton angeben und der Politik sagen, wo es langgeht?
Jürgen Pütz: Zum einen finde ich es eine Stärke der Demokratie, dass wir es auch aushalten, andere Meinungen, die vielleicht wissenschaftlich gar nicht fundiert sind, anzuhören. Bei Querdenkern gibt es häufig Medienauftritte, bei denen man sich die Frage stellt: Was treibt diese Menschen um, was denken die? Aber das halten wir als Demokratie aus, wir geben sogar die Medienbühne. Das halte ich für eine große Stärke der Demokratie. Dann bin ich der Meinung, dass es vom Grundsatz her gut und wichtig ist, wenn auch die Wissenschaft Input gibt. Subjektiv gefühlt sinkt teilweise die Qualität der Politik, weil immer weniger Menschen die Bereitschaft haben, politische Verantwortung, politische Ämter und auch Ehrenämter wahrzunehmen. Das fängt auf kommunaler Ebene an. Wenn Sie sich die Zusammensetzung des Bundestages anschauen, sehen Sie nicht mehr die Abbildung der Gesellschaft. Somit kann die Qualität von Wissenschaft hilfreich sein. Wenn das allerdings dazu führt, dass sich verantwortliche Menschen in der Politik dahinter verstecken, dann wird es schwierig. Ich habe eben das Stichwort Verantwortung genannt: Wenn man ein Mandat bekommt, hat man einen Auftrag und auch eine Verantwortung. Das Expertentum hilfreich sein kann, zeigt sich aktuell in Italien. Mario Draghi gehörtkeiner politischen Partei an, genießt aber nun wirklich Expertenstatus. Das hat dieser Demokratie sehr, sehr gutgetan – einmal raus aus diesem Parteienlager zu kommen und eine sachlich fundierte Politik im Sinne der Bürger zu machen.
IwP: Haben Sie den Eindruck, dass Draghi auch hinsichtlich seiner speziellen Sachkenntnis Italien gutgetan hat?
Jürgen Pütz: Das ist meine subjektive Außenwahrnehmung. Draghi war fachlich anerkannt und hatte daher Akzeptanz. Aber sein Erfolgsfaktor war das Thema Integrität. Man hat ihm einfach abgekauft, dass es ihm wirklich um das Land, um die Sache und nicht um eigene Vorteilsnahme geht. Ich glaube, er hat einfach eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung gehabt, das war sein absolutes Plus.
IwP: Forsa führt ja regelmäßig Umfragen zur Glaubwürdigkeit von Institutionen durch. Hier schneidet die Wissenschaft immer recht gut ab, weit vor der Politik, aber auch vor Polizei, Bundeswehr und Ärzten. Und das unterstreicht ja einerseits das, was Sie gerade gesagt haben, dass im Idealfall das Gemeinwesen, in dem Fall auch das politische Gemeinwesen, davon profitieren kann, wenn wissenschaftliche Experten einbezogen werden. Das bedeutet aber auch, dass in Teilen auch die Gefahr bestehen kann, dass sich das abnutzt. Wir kennen zum Beispiel auch das Phänomen Experte und Gegenexperte. Hier ist der normale Bürger zudem kaum in der Lage zu unterscheiden: Wer ist überhaupt ein Wissenschaftler und weiter: wer ist ein guter Wissenschaftler? Diese Frage kann sich ja nur aus der Wissenschaft selbst beantworten.
Wie nehmen Sie das speziell für das Finanzwesen wahr? Noch im letzten Jahr hat zum Beispiel Marcel Fratzscher, der Präsident des DIW, die Inflation als die geringste Sorge bezeichnet, jetzt kratzen wir an den 8 % in Deutschland, und die Inflation ist doch zumindest im politischen Berlin ein gehöriges Problem geworden.
Jürgen Pütz: Ich denke, die Bedeutung der Wissenschaft in unserem Land ist auch ein Stück weit historisch bedingt: „Deutschland als Volk der Dichter und Denker“. Wir sind in unserer Wirtschaftsleistung sehr stark auf Know-How und Technologievorsprung angewiesen, weil wir sonst wenige Ressourcen haben.
Schauen wir mit unseren Maßstäben ins Ausland auf Regierungsentwicklungen unter Trump oder Johnson, sehen wir, wie mit Unwahrheiten Politik gemacht wird. Viele Menschen nehmen das so hin und schon spielt die Wissenschaft keine so wichtige Rolle mehr.
Das ist eine gefährliche Entwicklung, die natürlich auch die Bedeutung der Wissenschaft zurückdrängen kann, weil Fakten dann keine Rolle mehr spielen.
Es gibt auch kritische Stimmen, die einen Herbst der Proteste prognostizieren, bei denen das Thema Energiewende Unruhe schürt, für die man eben auch bewusst populistische Strömungen nutzt, um damit Politik zu machen. Hier muss die Wissenschaft aufpassen, dass man Gehör behält und dass man mit Argumenten nach außen dringt.
Deswegen finde ich auch nach wie vor sehr wichtig, dass wir auf eine Medienlandschaft mit öffentlichen Sendern vertrauen. Ich glaube, das ist für unsere Demokratie ganz elementar. Und da zahle ich gerne meine Rundfunkgebühren, auch wenn es dort Fehlentwicklungen wie in jedem System gibt.
Wissenschaftler wie Fratzscher stehen natürlich auch in der Öffentlichkeit. Fratzscher ist dabei nicht unumstritten und polarisiert sehr stark. Auch Feld benennt kritische Dinge, etwa dass wir uns in den nächsten Jahren auf einen Wohlstandsverlust einstellen müssen.
Was das Thema Inflation angeht, da sind wir sehr schnell bei der Rolle der Europäischen Zentralbank. Sie ist eigentlich eine unabhängige Institution, die den Auftrag übernommen hat, Währungsstabilität zu gewährleisten. In meiner Wahrnehmung wird hier aber seit Jahren priorisiert, den Euro zu retten und Staatsfinanzierung zu betreiben. Nichts anderes geschieht, wenn sie Staatsanleihen in großer Form aufkauft, die Bilanzsumme aufbläht, die Zinsen niedrig hält und damit die Defizite der Staaten finanziert. Jetzt kommt die EZB unter Zugzwang, weil eine Inflation nicht sofort, aber eben auf Dauer gefährlich ist. Sie nimmt den Menschen das Geld weg und das ist immer spürbarer und die Zurückhaltung der Verbraucher ist bereits zu sehen. Die Einzelhandelsumsätze weisen im letzten Monat bereits ein Minus von 9 Prozent aus. Und da hat die EZB zu spät reagiert und ist jetzt unter Zugzwang, die Zinsen zu erhöhen. Steigende Zinsen sind nicht gut für die Wirtschaft. Investitionen werden zurückgehalten, was wir heute schon im Baubereich spüren.
Der Satz „Nie war es so schwer, die Zukunft vorherzusagen“, gilt im Moment mehr denn je.
IwP: Ein weiteres finanzpolitisches Thema ist die Übergewinnsteuer.
Jürgen Pütz: Ich finde das Thema Übergewinnsteuer spannend. Ich bin da etwas gespalten. Ich kann die Argumentation verstehen, dass es im Wirtschaftssystem nicht funktioniert, wenn man einzelne Unternehmen herausgreift, die gesondert besteuert werden. Wenn das Unternehmen Gewinne macht, dann zahlt es dafür Steuern wie Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer. Das ist alles geregelt. Auf der anderen Seite steht der Verbraucher, der Gewinne sieht, die in der Krise teilweise vervierfacht wurden. Da kommt schon das Gefühl auf, dass unsere Wirtschaftsordnung so nicht funktioniert und dass eingegriffen werden muss. Es kann nicht sein, dass sich letztendlich Unternehmen bereichern zulasten der Allgemeinheit. Also kann ich dem etwas abgewinnen und andere Länder machen es ja auch. Ich kann die Diskussion durchaus verstehen.
IwP: Die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Bewertung ist die eine. Die andere ist, wie aus wissenschaftlicher Sicht auch Ordnungspolitik betrieben wird. Das ist ja unser Thema: Der Nimbus der Wissenschaft, die Autorität, die Glaubwürdigkeit, die sie jetzt hat. Das ist zugleich auch eine Momentaufnahme: wir wissen nicht, wie sich das in ein, zwei, drei Jahren entwickelt – in Teilen der Gesellschaft haben wir ja schon die Situation, dass da eine Wissenschaftsungläubigkeit existiert oder dass man sich seine „eigenen“ Experten herauspickt. Das Ziel des IwP ist ja, über die Schaffung von Transparenz am Ende die Institutionen zu stärken. Welche Betätigungsfelder sehen Sie da zukünftig für uns?
Jürgen Pütz: Was mich umtreibt bei der Diskussion um Wissenschaft und Politik, ist die Frage der Fristigkeit. Wissenschaft hat die Aufgabe, auch langfristige Entwicklungen und Trends deutlich zu machen. Und unser Politiksystem ist eben immer auf Wiederwahlpunkte fixiert. Alle 4 bis 5 Jahre stellt die Politik sich dem Votum des Wählers und will möglichst viel Zustimmung bekommen. Ich nehme wahr, dass häufig über diese kurz- bis mittelfristige politische Ära langfristige Trends nicht aufgegriffen oder entsprechend auch nicht umgesetzt werden. Denken Sie an das Thema Altersversorgung. Es ist klar, dass das System in der jetzigen Form auf Dauer so nicht funktionieren kann. Das weiß auch jeder. Aber die Politik reagiert nicht oder unzureichend. Wir werden entweder weniger herausbekommen, wir müssen mehr einzahlen, oder wir brauchen mehr Zuwanderung, die das System stützt. Das sind die Entwicklungen, die Wissenschaftler sehr deutlich und transparent aufzeigen, die aber innerhalb des politischen Systems mit der Fristigkeit hin zu Wahlterminen nicht mit der nötigen Vehemenz und Verantwortung aufgenommen werden. Diesen Widerstreit gilt es transparent zu machen.
IwP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pütz!
Unter regierungsforschung.de ist ein Essay von Stefan Brüggemann mit dem Titel „Transformation durch Experten. Die Relevanz wissenschaftlicher Politikberatung“ erschienen, der die Relevanz und Chancen von sowie die Voraussetzungen für eine gelingende wissenschaftliche Politikberatung anhand relevanter Beispiele beleuchtet. Der Beitrag lässt sich sowohl unter regierungsforschung.de lesen als auch als PDF herunterladen.
Institut für wissenschaftliche Politikberatung: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach externe Beratung für die Politik und wie sollte diese aufgestellt sein?
Uwe Thomsen: Ich gehe davon aus, dass wir im Grunde genommen doch als Bürger dieses Staates unsere Interessen vertreten sollten. Bundestagsabgeordnete sind ja auch Interessenvertreter. Und wie das so ist bei Menschen, die können nicht allumfassend alle Problemlagen dieses Lebens kennen und dann auch in Gesetze gießen, sondern es bedarf eines Konsultationsprozess, eines Prozesses des Austauschs zwischen den Betroffenen von Gesetzen und denen, die sie machen. Und derjenige oder diejenige, der sich zurücklehnt und sagt, die werden das schon gut machen, die vergeben die Chance, dass ihre Interessen auch gehört werden. Das heißt ja nicht, dass das, was ich einem Abgeordneten oder einem Ministerium sage, dann am Ende in Gesetzesform umgesetzt wird, sondern dass ich einfach nur meine Position einbringe. Aufgabe des Ministeriums und der Abgeordneten ist es natürlich zu filtern, zu fragen: Wie bringt man das in einen größeren Zusammenhang und ist das in dem größeren Zusammenhang sinnvoll? Wenn diese Stimme aber fehlt, dann kann sie nicht berücksichtigt werden und dann muss ich mich auch nicht wundern, wenn Entscheidungen fallen in Unkenntnis dieses Aspektes und dann vielleicht gegen mich laufen. Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir uns als Bürger und auch als Unternehmen entsprechend in die Entscheidungen einbringen müssen. Einbringen im Sinne von: unsere Betroffenheit, unsere Wünsche adressieren. Insofern glaube ich, dass Gremien immer möglichst breit aufgestellt werden müssen. Beratungsgremien sollten auch breit aufgestellt sein, um eben verschiedene Aspekte der Lebensrealität widerzuspiegeln.
IwP: Wie beurteilen Sie in diesem Kontext insbesondere die Formen der wissenschaftlichen Politikberatung? Was ist die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit – vielleicht wenn wir exemplarisch auch an die Pandemie denken?
Uwe Thomsen: Ich habe Herrn Drosten sehr häufig sagen hören: ich kann nur nach bestem Wissen und Gewissen meine wissenschaftlichen Erkenntnisse kundtun. Die Politik muss entscheiden, was sie daraus macht. Und ich glaube, diese Arbeitsteilung muss man auch wirklich sehr sorgfältig durchhalten. Man muss das immer wieder deutlich machen, dass es diese Arbeitsteilung gibt. Ein politischer Prozess ist Kompromisse finden zwischen verschiedenen Interessengruppen – und das kann auch entgegen wissenschaftlicher Erkenntnis sein. Deshalb ist es trotzdem wichtig, dass die Wissenschaft ihren Kenntnisstand in die Diskussion mit einbringt, damit alle wissen: welche Art Kompromisse machen wir hier eigentlich? Wenn es denn dann welche gibt.
Vielleicht ist es auch nicht glücklich, wenn Herr Drosten sich neben Herrn Spahn in die Pressekonferenz setzt, weil dadurch einfach eine Vermischung stattfindet. Auf der anderen Seite haben glaube ich viele Menschen in der Vergangenheit auch vor Corona immer wieder gefordert, die Wissenschaft möge sich doch bitte stärker in die öffentliche Debatte einbringen. Andererseits werden Wissenschaftler schon wieder in der eigenen Community angefeindet, wenn sie dann aus Sicht der Community zu vereinfachend Dinge in die Öffentlichkeit bringen, die natürlich nicht hochwissenschaftlich rüberkommen können, sondern allgemeinverständlich sein müssen. Dabei werden aber natürlich Nuancen unterpflügt. Das ist ein wirklich sehr schwieriger Grat auf dem Wissenschaft und Politik hier gehen. Und deshalb müssen sie immer wieder kenntlich machen, dass es hier unterschiedliche Interessen gibt.
Die Wissenschaft ist interessiert an einem wissenschaftlichen Diskurs und stellt Thesen auf, die bestätigt oder verworfen werden. Dazu gehört es, in einen Diskurs zu gehen. Der Diskurs zwischen Streeck und Drosten wurde jetzt an der Stelle in die Öffentlichkeit gezerrt und vielleicht auch ein Stückchen verzerrt über Profilierungswünsche der Teilnehmer, wenn sie plötzlich vor laufender Kamera diesen Disput austragen und nicht mehr nur in Papers in wissenschaftlichen Zirkeln. Das erhöht noch mal die Problemlage. Aber wir sind am Ende alle Menschen und man muss diesen menschlichen Faktor einfach immer mitdenken, auch wenn Wissenschaftler sich äußern. Diese können sich nicht freimachen davon, dass sie Eitelkeiten unterliegen, der eine mehr, der andere weniger. Und ich glaube, dass wir offen darüber sprechen müssen, dass dies eben so ist. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung, die dort stattgefunden hat, hat in der Öffentlichkeit manchmal den Eindruck erweckt, die Wissenschaftler wüssten auch nicht, wo es langgeht. Das ist natürlich schwierig, weil viele Menschen einfach nicht wissen, wie Wissenschaft funktioniert. Das ist eben auch ein Bildungsthema: Je besser die Menschen ausgebildet sind, desto eher sind sie in der Lage, Diskurse richtig einzuschätzen. Das ist auch ein Bildungsauftrag.
IwP: Vielleicht kann das auch dazu führen, dass eine Gesellschaft, die in ihrer Breite viel mehr verstanden hat, wie Wissenschaft funktioniert – Pluralität der Ansätze – das Verständnis dafür hat, dass weder Herr Streeck noch Herr Drosten sich im Irrtum befinden. Aber offen bleibt doch die Frage welche Stimme der Wissenschaft gehört wird und welche nicht?
Uwe Thomsen: Das ist eine politische Entscheidung, die auf die Position des Politikers einzahlen soll. Der holt sich ja denjenigen an die Seite, von dem er glaubt, dass er der Botschaft, die er senden will, am meisten nützt. An der Stelle läuft die Wissenschaft Gefahr, missbraucht zu werden. Eigentlich ist es ein Zeichen der Schwäche von Politikern, wenn sie glauben, ihre eigene Position unterstreichen zu müssen, indem sie sich wissenschaftliche Expertise an die Seite holen. Das hat natürlich auch was mit Kommunikationsregeln zu tun. Eigentlich müsste der Politiker sich doch hinsetzen und sagen: Wissenschaftlicher Stand ist X, politisch machen wir aber jetzt Y daraus, weil es noch andere Aspekte gibt, die zu berücksichtigen sind. Wenn der Gesundheitsminister sich einen Virologen an die Seite stellt, ist das ja auch nur ein Aspekt. Was ist denn mit Hygenikern? Dass das immer nur ein Ausschnitt ist, hat Drosten aus meiner Sicht immer versucht herauszuarbeiten in den Interviews. Wo die Diskussion aus meiner Sicht immer zu sehr verengt war, dass man den Virologen extrem viel Raum gegeben hat. Das ist in der Notsituation verständlich, weil es erst mal darum geht, die akute Gefahr zu bannen.
Andere wissenschaftliche Felder hatten weniger Raum: was bedeutet es wirtschaftlich, was bedeutet es psychologisch? Alle möglichen Lebensbereiche der Menschen hat es ja betroffen. Und dann nehmen Menschen ja auch Schaden in diesem Prozess, auch durch die Maßnahmen, die ergriffen werden. Solche Diskussionen hat man vielleicht im Ethikrat geführt, wo man breiter aufgestellt ist, aber das hat mehr im Hintergrund stattgefunden. Im Vordergrund stand die akute Krisenbewältigung durch die Expertise von Virologen. Und ich glaube, dass das viele Menschen auch kritisiert haben. Das sieht man ja auch jetzt: Es „gibt“ ja kein Corona mehr, es „gibt“ jetzt nur noch Ukraine, weil wir – glaube ich – auch so angelegt sind: Wir können nur das, was einem am wichtigsten erscheint, was uns am unmittelbarsten bedroht, managen, und alles andere kommt dann danach. Aus meiner Sicht ist es nicht glücklich, wenn Wissenschaft sich neben einen Politiker setzt, um politische Botschaften zu unterstützen. Denn die können immer nur Kompromisse sein und das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Diese wissenschaftliche Erkenntnis oder Expertise von Herrn Drosten und anderen muss einfließen in diese politischen Entscheidungen. Aber, sich so eine „Macht“ daneben zu setzen, nach dem Motto: wenn ihr mir nicht glaubt, dann fragt doch den, das ist eigentlich eine Schwäche der Politik.
IwP: Das war rückblickend nur erklärbar durch die Genese dieser völlig unbekannten Situation. Da hat man ein Stück weit eine Autorität eingesetzt, die man auch nicht wieder abschütteln konnte. Ist das auch der politischen Logik geschuldet?
Uwe Thomsen: Das ist jetzt vielleicht nochmal Zweierlei: Der Experte aus dem RKI, der hat ja wiederum eine öffentliche Funktion. Der ist ja nicht nur Wissenschaftler, sondern der muss ja auch Maßnahmen, die auch eine Bindungswirkung haben, in die Öffentlichkeit tragen und auch zusehen, dass die durchgesetzt werden. Insofern finde ich, dass das RKI vielleicht noch mal eine etwas andere Rolle hat als eine rein wissenschaftliche. Aber Drosten oder Streeck haben eigentlich nur eine wissenschaftliche Funktion: die sind nicht gewählt, die sind nicht in Gremien berufen. Und sie sind auch keine Beamten, die verpflichtet werden, dem öffentlichen Wohl zu dienen, sondern die sollen „Wissenschaft machen“.
IwP: Das ist ja noch mal eine ganz eigene, spannende Diskussion. Aber wenn Sie erlauben, würde ich gerne ein bisschen von dem Themenkomplex wegkommen und an das andere große Thema denken, was in meiner Wahrnehmung in ähnlicher Weise mit diesem großen Wort „der Wissenschaft“ verknüpft ist. Und ich sage es bewusst so, weil ich glaube, dass das schon nach unserer Auffassung ein Stück weit Teil des Problems ist, insofern, als dass es wenig transparent und wenig differenziert ist von „der Wissenschaft“ zu sprechen. Die ist auch häufig bei der Debatte zur Klimaschutzpolitik der Fall. Da sind Sie natürlich ein Stück weit einer Branche entstammend, die in diesem Gesamtgefüge ja auch Teil ist. Was ist da Ihre Wahrnehmung? Welche Rolle spielt wissenschaftliche Beratung, wenn sie sich der Politik andient oder von der Politik hinzugezogen wird in diesem Themenfeld?
Uwe Thomsen: Hier gilt im Grunde genommen dasselbe. Die Wissenschaftler, ob das das Potsdamer Institut für Klimaforschung oder andere sind, können natürlich nur ihre Erkenntnisse beisteuern. Entscheiden muss die Politik, und da muss sie eben auch andere Dinge berücksichtigen als das, was ihnen die Klimaforscher sagen. Das sehen wir ja jetzt auch in den Ereignissen rund um den Krieg in der Ukraine. Plötzlich bekommen ja doch die Themen Wohlstand, soziale Sicherheit etc. einen anderen Stellenwert. Denn man hätte ja auch sagen können: Eigentlich wollten wir schon immer, dass die Energiepreise hochgehen, wie sie jetzt sind, denn das motiviert die Menschen, umzudenken. Was macht man stattdessen? Man denkt darüber nach, wie man die die Menschen entlasten kann. Man sorgt dafür, dass Gas auch aus anderen Regionen dieser Welt kommt. Und das sind auch nicht alles „lupenreine Demokratien“, um ein Zitat von Herrn Schröder ins Spiel zu bringen. Es geht doch darum, politisch die gesellschaftlichen Befindlichkeiten aufzunehmen und sie dann in Entscheidungen zu packen. Da gehört das Thema Klimaschutz mit rein und dem wir müssen Rechnung tragen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich fast alle in Deutschland einig. Aber wir müssen es so gestalten, dass es für die Menschen verkraftbar ist. Darüber streiten wir jetzt im Grunde genommen im politischen Prozess. Was sind denn die richtigen Schritte? Als Unternehmen, das in der Energiebranche tätig ist, kann ich nur sagen: Die Effizienz der Energieversorgung ist im Grunde ein Gradmesser für den Wohlstand in dieser Gesellschaft – schon immer gewesen. Also wenn wir Effizienzsprünge gemacht haben, dann haben wir auch Wohlstandsgewinne organisiert. Wenn wir jetzt sozusagen den Prozess umkehren, werden wir auch Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Und die Frage ist ja: Was sind wir bereit aufzugeben? Und als Unternehmen der Energiebranche kann ich hier nur sagen: Wir müssen das so gut wie irgend möglich tun, damit wir den Wohlstand dieser Gesellschaft erhalten können. Und dabei habe ich das Gefühl, dass das Wort „Wohlstand“ schon fast ein Geschmäckle bekommt. Wenn man das konkret herunterbricht, bedeutet das: welchen Stand haben unsere Sozialsysteme? Was können wir uns an Transferleistungen eigentlich leisten, hin zu den sozial Schwächsten? Wie gut ausgestattet ist unser Gesundheitssystem? Wir waren froh, dass unser Gesundheitssystem im weltweiten Vergleich eigentlich ganz gut aufgestellt ist. Das haben wir in der Pandemie gemerkt. Das werden wir nicht einfach aufgeben wollen. Und diverse andere soziale Dinge, die wir heute tun, auch in Richtung Umweltschutz, können wir deshalb, weil die Industrie in den letzten 20 Jahren oder zehn Jahren so viel Geld verdient hat, die Menschen so viel Geld verdient haben, dass dieser Staat sich das heute leisten kann. Die Bazooka von Herrn Scholz war ja nur möglich, weil die Steuerquellen so gesprudelt sind. Und das fällt nicht vom Himmel.
IwP: Damit haben wir ja schon ein Stück weit über Realpolitik gesprochen. Aber ist das auch etwas, von dem Sie glauben, dass es mehr in der Beratung von Politik durch Wissenschaft stattfinden muss, in Form eines multiperspektivischen Ansatzes? Oder sehen Sie das schon ausreichend vertreten? Geht das eigentlich Hand in Hand oder ist es etwas, was wir in der Argumentation nur als Feigenblatt erwähnen? Oder ist es so, dass nur partiell zitiert wird? Die Wissenschaft wird zitiert, wenn es um den Klimawandel und die Ursachen des Klimawandels geht, sie wird aber weniger zitiert, wenn es um die sozialen Folgen einer Klimaschutzpolitik geht? Vor drei Jahren haben wir über NOx gesprochen, über Fahrverbote und den Diesel. Das ist ja mittlerweile offensichtlich auch nicht mehr das Thema, über das wir hier streiten müssen. Und trotzdem war das alles auch etwas, wofür es wissenschafltiche Evidenz gibt. Wobei ich mich, auch da sage ich wieder, als Geisteswissenschaftler, immer gewundert habe, wie man errechnen konnte, dass soundso viele Menschen eine kürzere Lebenszeit haben, weil sie beispielsweise in Bonn an der Reuterstraße wohnen. Wie ist da Ihre vielleicht auch branchenspezifische Wahrnehmung und konkrete Erfahrungen mit Blick auf zitierte wissenschaftliche Evidenz, wenn es um dieses Multiperspektivische geht?
Uwe Thomsen: Wissenschaft wird dann zitiert, wenn es meiner Meinung nutzt. Das, würde ich mal sagen, ist ein sehr häufiges Phänomen. Und die, die das am lautesten tun, dringen auch am meisten durch. Neben einer sehr spezialisierten Wissenschaft, derer es ja zweifellos bedarf, bedarf es auch einer stärkeren interdisziplinären Wissenschaft. Ich glaube, die Zusammenhänge müssen noch mal viel stärker gemacht werden. Dadurch, dass wir uns in den Disziplinen so sehr spezialisieren, geht der Blick für das gemeinsame Ganze verloren, das ist das große Bild. Und ich glaube, dass es sehr lohnenswert wäre, wenn sich Wissenschaftler dazu bereit fänden zu sagen: Ich will das Systemische noch stärker verstehen, wie Dinge eigentlich zusammenwirken und welche Auswirkungen sie haben. Und ja, dann kann ich nicht in jedem einzelnen Detail drin sein. Aber das ist dann eben auch eine wissenschaftliche Aufgabe, diese Themen systemisch zusammenzuführen.
Und ich glaube, Wissenschaftsjournalismus wird unterschätzt. Wissenschaftsjournalismus hätte eigentlich eine viel größere Aufgabe in der Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für nicht wissenschaftlich oder nicht in diesen Disziplinen wissenschaftlich ausgebildete Menschen. Er könnten vielleicht eher dafür sorgen, dass Themen zusammengedacht werden, indem er die verschiedenen Disziplinen auf dem Schirm hat.
IwP: In der Pandemie hatte ich häufig den Eindruck: Ich höre Zahlen hier, ich höre Zahlen dort – ganz viel Zahlenwerk, was natürlich auch von einer gewissen wissenschaftlichen Autorität geprägt ist. Zahlen lügen nicht, die Wissenschaft lügt nicht, sind hier die Schlagworte. Aber die Einsortierung hat meines Erachtens häufig gefehlt. Und schwupps kam der R-Wert, dann war es die Inzidenz, dann sind es die absoluten Zahlen der Neuinfektionen…
Uwe Thomsen: Es sind immer nur Annäherungen an die Wirklichkeit. Und es sind immer nur Krücken, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die man trifft, und man versucht diese an einem Wert festzumachen, der das Geschehen einigermaßen beschreibt. Das sozusagen als ein absolutes Muss in Raum zu stellen, ist halt falsch. Aber die Politik hilft sich dann natürlich, indem sie sagt: So, das ist jetzt der Wert, das ist die absolute Größe, die Wahrheit, die uns dabei hilft zu sagen: Hopp oder topp. Und es muss immer klar sein, das hätte auch ein anderer Wert sein können.
IwP: Vielleicht noch eine Ausblicksfrage: was glauben Sie, könnten wir leisten? Wo sehen Sie eine Aufgabe für das IwP?
Uwe Thomsen: Ich habe ja schon versucht zu beschreiben, woran es uns eigentlich mangelt: es mangelt daran, mehr offenzulegen. Transparenz eben. Das ist schon fast ein Buzzword, aber eigentlich ein berechtigtes Buzzword. Dass man transparenter macht, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, dass man klarer trennt: Was ist jetzt hier an dieser Stelle Wissenschaft? Und was ist an dieser Stelle Politikberatung, also die Übertragung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den politischen Prozess? Und wo liegen eigentlich die Kompromisse, die hier gemacht werden müssen, auch zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Ansichten aus verschiedenen Disziplinen heraus? Dadurch einfach den Menschen offenlegen, wo eigentlich die Bruchstellen sind. Keine Entscheidung, die wir heute treffen, ist eine optimale Entscheidung, das gibt es nicht. Es gibt immer nur für bestimmte Menschen möglichst gute Entscheidungen und die sind wahrscheinlich auch nicht optimal, weil man immer an irgendeiner Stelle einen Abstrich macht. Aber das macht doch auch das Wesen von Demokratien aus, dass wir in der Lage sind, die Prozesse so zu steuern, dass wir einen möglichst großen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft erreichen können. Und dazu braucht es, glaube ich, Transparenz. Spontan würde ich sagen, dass es „Querdenker“ und so weiter gibt, liegt ja auch daran, dass es hier ein Misstrauen gegenüber Wissenschaft, politischen Entscheidungen und so weiter gibt. Und das wäre ja mal zu ergründen: Woher kommt dieses Misstrauen eigentlich? Da kommt dann schnell: Ja, die wollen sich ja alle nur die Taschen voll machen. Ja, natürlich wollen wir mit dem, was wir tun, uns ein möglichst gutes Leben organisieren, was auch immer wir unter gutem Leben verstehen. Das muss man immer mitdenken, dass natürlich auch Eigennutz Antrieb jeder Tätigkeit ist, im Übrigen auch bei denen, die es beklagen. Und das ist ja gerade der politische Prozess, daraus einen Ausgleich zu machen zwischen den Akteuren, so dass wir alle sagen können: Okay, das ist jetzt nicht alles, was ich für mich gut finde, aber es ist gut genug, um damit gut leben zu können. Und dafür bedarf es aber eines offenen Diskurses genau über diesen Umstand.
IwP: Vielen Dank für das Gespräch!
IwP: Immer häufiger werden politische Entscheidungen abgestützt oder initiiert durch wissenschaftliche Studien. Besondere Sichtbarkeit erfährt dies innerhalb der Pandemie, aber auch bei der Klimapolitik. Welche Rolle spielt Ihrer Einschätzung nach „die Wissenschaft“ für die Politik?
Michael Hirz: Eine große und sie ist nach meinem Eindruck in den letzten Jahren noch gewachsen. Keine Politik kommt bei wichtigen Entwicklungen und Entscheidungen aus ohne wissenschaftlichen Rat. Das gilt von Klimapolitik und Energiewende bis zur Wirtschaftspolitik.
IwP: Ist dies ein Phänomen das speziell mit der modernen Wissensgesellschaft einhergeht oder findet hier auch eine Verschiebung von Kompetenzen statt?
Michael Hirz: Das ist meines Erachtens keine Entweder-oder-Frage. Vielmehr hängt das eine mit dem anderen zusammen. Der Vormarsch der Wissensgesellschaft hat den Spielraum freier, aber auch weniger fundierter Entscheidungen in vielen Fragen eingeengt.
IwP: Politiker – auch die „ahnungslosen“ – werden vom Volk gewählt. Hierdurch erfahren sie ihre Legitimation für die Entscheidungen, die sie als Repräsentant des Volkes zu treffen haben. Dies gilt nicht für Wissenschaftler – auch nicht für jene, die die Politik unmittelbar und einflussreich beraten. Wie ist dies aus demokratietheoretischer Sicht zu beurteilen?
Michael Hirz: Das ist ein durchaus kritischer Punkt. Es besteht die Gefahr, dass unter Verweis auf „wissenschaftliche Erkenntnisse“ Sachzwänge konstruiert werden, die eine freie Entscheidung von Parlamenten zumindest erschweren. Ergebnis wäre ein Trend zu einer demokratisch nicht legitimierten Expertokratie, Wissenschaft könnte aber auch für manipulatives Handeln missbraucht werden.
IwP: Im aktuellen Landtagswahlkampf in NRW gab es von Seiten der CDU große Empörung, weil im WDR eine Politikwissenschaftlerin den aktuell laufenden NRW-Wahlkampf kommentiert hat. Wie sich herausstellte, ist die Wissenschaftlerin selbst aktives SPD-Mitglied, was jedoch nicht kenntlich gemacht wurde. Wie beurteilen Sie den Einsatz wissenschaftlicher Experten in bzw. durch die Medien?
Michael Hirz: Zur Beurteilung komplexer Fragen in der öffentlichen Debatte – also in den verschiedenen Medien – ist die Stimme von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kaum verzichtbar – sie sind wichtige Teilnehmer des öffentlichen Diskurses. Für die Kuratoren des Diskurses, also Journalistinnen und Journalisten, gehört zur Verantwortung, bei der Auswahl von Experten eine besondere Sorgfalt walten zu lassen. Dazu braucht es maximale Transparenz. Gäste von Sendungen, zitierte Wissenschaftler und Studien müssen für das Publikum deutlich erkennbar eingeordnet werden. Dazu gehören mögliche Abhängigkeiten, weltanschauliche Bindungen, wissenschaftliche Reputation, mögliche Lobby-Interessen.
Kritisch muss angemerkt werden, dass häufig aus unterschiedlichen Gründen gegen die zwingende Sorgfaltspflicht verstoßen wird bei der Einladung wissenschaftlicher Experten. Das geschieht aus unterschiedlichen Gründen: Es mangelt in der einladenden Redaktion gelegentlich an Kompetenz, so dass man auf Figuren zurückgreift, die anderswo schon zu sehen/hören/lesen waren. Ursache dafür kann eine finanziell und personell ausgeblutete Redaktion sein. Oder das Kriterium ist eine besondere Medientauglichkeit des jeweiligen Wissenschaftlers, unabhängig von seinem wissenschaftlichen Renommee. Auch begünstigt eine populäre, besonders exponierte wissenschaftliche Meinung eine Einladung, weil sie zu Klicks, Auflage und Quote verhilft – unabhängig davon, ob sie den jeweils fachlichen Konsens und wissenschaftlich akzeptierten Kenntnisstand repräsentiert oder nicht.
Die Medien-Mechanik bewirkt zu dem, dass die öffentliche Aufmerksamkeit auf einzelne Wissenschaftler fokussiert, die dann als Repräsentanten „der Wissenschaft“ wahrgenommen werden. Sie legitimieren oder delegitimieren politische Entscheidungen. Gerade die Pandemie hat aber gezeigt, dass Wissen und Erkenntnis zum einen fortschreiten und dass zum anderen Teildisziplinen (wie die Virologie) der Komplexität einer Pandemie mit ihren sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen nicht gerecht werden können. Politik hingegen muss bei ihrem Handeln diese Komplexität einbeziehen. In der Berichterstattung wird das jedoch häufig verkürzt.
IwP: Auch jenseits von Fragen der Unabhängigkeit bzw. Unbefangenheit durch befragte Experten ist im Laufe der Corona-Pandemie eine Debatte über mediale Darstellungsformen wissenschaftlicher Diskurse entbrannt. Wie beurteilen Sie das Thema „false balance“, welche Auswirkungen hat es für die journalistische Arbeit? Was braucht es für die Zukunft?
Michael Hirz: : Ein wichtiges journalistisches Kriterium ist der Anspruch, in der Berichterstattung auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Das hat allerdings dort seine Grenze, wo wissenschaftliche Positionen große Berücksichtigung finden, die sich komplett aus dem Konsens der jeweiligen Fachdisziplin gelöst haben. So würde heute wohl kaum jemand daran zweifeln, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist. Beim aktuellen Thema Klimawandel hat sich ein breitestmöglicher Konsens in der wissenschaftlichen Debatte herausgebildet. Dennoch hat es bis vor einigen Jahren mediale Darstellungen gegeben, die eine konträre Position quasi gleichberechtigt daneben gestellt haben. Hier ist es wichtig, dass Journalismus seiner Aufgabe zur Einordnung nachkommt. Natürlich kann u.U. auch der Vertreter einer extremen Minderheitenposition Teil der Berichterstattung sein. Er muss aber entsprechend eingeordnet werden. Auch die weiter oben beschriebenen Maßnahmen – Interessen, Reputation, Abhängigkeiten etc. zu prüfen – sind für die Berichterstattung elementar.
IwP: Welche Funktion kann oder soll/kann das neu gegründete Institut für wissenschaftliche Politikberatung in dieser Hinsicht Ihrer Auffassung nach spielen?
Michael Hirz: Gegenfrage: Warum gibt es ein solches Institut nicht längst? Eine solche Einrichtung kann von ganz erheblicher Bedeutung für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft sein, denn sie schaffte eine Transparenz, die bisherige Verhältnisse ausleuchten könnte. Das schaffte Vertrauen und würde erheblich zur Orientierung bei der Meinungsbildung beitragen.
IwP: Als Oberbürgermeister, davor mit vielen Berufsjahren in der kommunalen Verwaltung und als Kämmerer von Königswinter haben Sie einen besonderen Erfahrungsschatz im kommunalen Bereich. Wie schätzen Sie hier grundsätzlich die Bedeutung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen für Politik, also Bundespolitik, Landespolitik oder auch Kommunalpolitik ein? Welche Rolle spielt da Ihrer Erfahrung nach überhaupt die Wissenschaft – und gibt es eine? Ist eine Steigerungstendenz erkennbar?
Ashok Sridharan: Für die Landes- und Bundespolitik kann ich nicht sprechen, weil ich dort nie tätig war, sondern ausschließlich 25 Jahre lang in Kommunalverwaltungen und Kommunalpolitik. Und wenn ich jetzt über Wissenschaft spreche, dann meine ich nicht nur die forschende und lehrende Wissenschaft, sondern auch die praktisch arbeitende Wissenschaft, das heißt Menschen mit akademischen Hintergrund, die in beratender Funktion tätig sind. Oder geht es wirklich um Wissenschaftler, die als Wissenschaftler gefragt werden, auch wenn sie nicht zum Beispiel in beratender Funktion in einem Ingenieurbüro tätig sind?
IwP: Das ist ein wichtiger Punkt, weil es ja auch darum geht, woraus „Autorität“ hergeleitet wird. Und wenn jemand mit einem wissenschaftlichen Hintergrund zu einer bestimmten Sachfrage gefragt wird und dabei auch für Dritte sichtbar ist, dass es sich um einen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen handelt, ist das ja kein irrelevanter Aspekt, zu wissen, dass jemand in seinem übrigen Tun wissenschaftsbasiert arbeitet, nach den Regeln der Wissenschaft und insofern natürlich auch daher seine „Autorität“ bezieht. Da gibt es mit Sicherheit auch Sachverständige mit akademischen Titeln, die in besonderer Weise damit auch auffallen und das vielleicht auch in der Kommunalpolitik tun. Wie verhält es sich da?
Ashok Sridharan: Persönlich habe ich insbesondere in meinen letzten Monaten als Oberbürgermeister ganz stark auf die Wissenschaft gesetzt, und zwar mit Beginn der Pandemie in dem dafür gebildeten Krisenstab. Mitglied des Krisenstabs ist damals Professor Exner gewesen. Und das, was ich an Professor Exner so geschätzt habe, ist einerseits seine völlige Unabhängigkeit, weil er weder in der Kommunalverwaltung noch in der Landesverwaltung oder der Bundesverwaltung tätig ist und andererseits seine Expertise. Vor dem Hintergrund ist mir seine Einschätzung auch im Krisenstab wirklich sehr, sehr wichtig gewesen. Und das ist, wie ich finde, wirklich ein sehr gutes Beispiel für wissenschaftliche Unterstützung in der Tagesarbeit der Kommunalpolitik oder Kommunalverwaltung. Mit wem ich mich auch zum Beispiel im Rahmen der Gespräche über das Bonn-Berlin-Gesetz ausgetauscht habe, ist Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, der als Verfassungsrechtler und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht natürlich über eine ausgesprochene Expertise verfügt. Es ist grundsätzlich immer ein Vergnügen mit ihm zu sprechen, aber sich eben auch zu solchen Dingen auszutauschen, weil es einfach hilft, eventuell noch mal einen anderen Blick auf die Dinge zu richten und Aspekte in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen, auf die man selber vielleicht nicht gekommen ist. Insofern sind das, wenn ich jetzt die letzten Jahre betrachte, also die Bereiche, wo ich selber unmittelbar mich von Wissenschaftlern habe begleiten und beraten lassen, glaube ich zwei ganz gute Beispiele.
Wenn ich den Blick noch ein bisschen weiter zurück werfe auf meine Tätigkeit in Königswinter, ist es auch dort so gewesen, dass wir uns als Stadtverwaltung in unterschiedlichen Bereichen wissenschaftlichen Rat eingeholt haben, natürlich nach entsprechenden Beschlüssen in den kommunalen Gremien und auch da möchte ich drei Beispiele geben. In Königswinter hat es ein veritables Problem mit der Löschwasserversorgung gegeben. Es war in vielen Teilen der Stadt nicht sichergestellt, dass ausreichend Löschwasser im Brandfall zur Verfügung steht. Die Stadt hat seinerzeit die Wasserversorger angesprochen und zum Handeln aufgefordert. Das ist nicht bei allen Wasserversorgern auf offene Ohren gestoßen. Es ist von einem Versorger darauf hingewiesen worden, das sei eine kommunale Aufgabe. Und das ist ja auf der einen Seite eine Rechtsfrage, auf der anderen Seite eine Frage, die natürlich in ganz, ganz viele Bereiche ausstrahlt: Kann ich da noch Baugenehmigungen erteilen? Wie kann ich die Wasserversorgung sicherstellen für die Gebäude, die schon da sind? Was ist mit den Menschen, die da leben? Können die dann auch sicher leben? Vor diesem Hintergrund haben wir uns seinerzeit gemeinsam dazu entschieden, Prof. Dr. Salzwedel, den damaligen „Papst“ im deutschen Wasserrecht, um seine Unterstützung und seine wissenschaftliche Expertise zu bitten zu dem Thema, um das Ganze eben nicht parteipolitisch oder nur von einer Seite zu betrachten, sondern von jemandem, der sich damit schon seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlich auseinandersetzt.
Ein anderes Beispiel, auch wieder in Zusammenhang mit Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio: Die Stadt Königswinter hatte seinerzeit Wahlautomaten beschafft, die es ja mal gegeben hat für die Durchführung von Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Und das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit mit dem Berichterstatter Prof Dr. Dr. Udo di Fabio diese Wahlautomaten für unzulässig erklärt. Und auch da war es sehr spannend, mit ihm darüber zu sprechen, was ihn veranlasst hat, diese Wahlautomaten, die die Stadt einen sechsstelligen Betrag gekostet haben, für unzulässig zu erklären.
Und zwei weitere Themenkomplexe, bei denen es mir auch auf eine wissenschaftliche Begleitung und Beratung ankam, waren Public-Private-Partnerships, weil das ja ein Modell war für Realisierung öffentlicher Infrastruktur, das wirklich umstritten war und es mir deswegen darauf ankam, das so zu sortieren, dass man die Vor- und Nachteile gegenüberstellt und dann anhand konkreter Projekte entscheidet: Wie läuft das denn? Oder wie kann man auch die Kritiker besänftigen oder mitnehmen? Und der andere Punkt, wo das noch viel wichtiger war, war bei den sogenannten US-Cross-Border-Leases. Auch da ist es so, dass es ja zum Beispiel Anwaltskanzleien gegeben hat, die Kommunen dazu gebracht haben, solche Deals abzuschließen. Und da jemanden von außen zu holen, der, ohne in einem Lager zu stehen, hingeht und das erklärt und das auch den politischen Gremien erklärt, ist unheimlich wichtig für eine objektivierte Entscheidungsfindung. Also ganz objektiv kann man nie sein, aber dort von jemandem, der unabhängig ist, beraten und begleitet zu werden, das ergibt nach meiner Einschätzung, nach meiner Erfahrung sehr viel Sinn.
IwP: Wer war der Experte bei den Leasing-Verträgen? Hat es sich um eine juristische Beratung gehandelt?
Ashok Sridharan: Das war eine juristische Beratung, ein Rechtsanwalt, der uns als unabhängiger Anwalt begleitet hat und nicht Teil der Cross-Border-Lease-Anwälten war. Das war extrem hilfreich. Trotzdem finde ich es bei allen Beratungen immer wichtig, dass man dann sich eben nicht ausschließlich auf die Büros verlässt, von denen man sich beraten lässt, sondern sich so ins Bild setzen lässt, dass man seinem Stadtrat auch selber erklären kann, worum es geht und wo die Chancen und Risiken liegen. Das war immer mein Ansatz. Beratung ja, aber ich musste es selber so verstanden haben, dass ich es einem Dritten erklären kann. Egal, ob das Public-Private Partnerships waren oder US Cross-Border-Leases oder die pandemiebedingten Einschränkungen. Ich wollte es immer so verstanden haben, dass ich es selber meinem Stadtrat erklären kann.
IwP: Wunderbare Beispiele. Herr Exner ist Professor an der Uni Bonn. Er ist nach meinem Kenntnisstand Professor für Fragen der Hygiene und der Aerosolentwicklung. Waren denn auch andere Wissenschaftler in dem Expertenrat?
Ashok Sridharan: Er war der einzige in unserem Krisenstab. Aber Prof. Dr. Exner ist ja auch im Beraterstab der Kanzlerin gewesen. Ich weiß aber nicht, ob er das heute noch ist, und da ist er natürlich nicht der einzige Wissenschaftler gewesen. Ich fand das immer sehr schön, weil Professor Exner seine Ausführungen immer mit ganz praktischen Beispielen verbunden hat: Es ging um die Risiken, die bestehen und wie man damit umzugehen hat. Und das ist völlig richtig, er ist Hygienemediziner und da sicherlich einer der führenden in Deutschland, und die Zusammenarbeit mit ihm hat der Stadt, aber auch mir persönlich viel gebracht.
IwP: Wenn ich jetzt etwas mehr als zwei Jahre zurückdenke, stand man ja vor einer riesigen Sammlung von Fragen. Erst mal hat man ein unbekanntes Virus, das wäre also wissenschaftlich betrachtet ein Fall für die Virologen: was und womit haben wir es überhaupt zu tun? Sicherlich auch ein Fall für die Hygieniker: wie verbreitet sich das Virus? Natürlich eine Frage, die dann für Infektionsschutzmaßnahmen relevant ist, was aber ja eng gekoppelt ist, wenn wir jetzt mal bei den beiden wissenschaftlichen Bereichen bleiben mit der Frage: Ist es überhaupt notwendig, weil wir es mit einem sehr gefährlichen Virus zu tun haben? Diese Risikoeinschätzung ist ja schon eine, die im großen Feld der Wissenschaften aufgefächert ist. Ich kenne Herrn Exner nicht persönlich, aber ich schätze seine Expertise: In diesem Fall, was Hygiene angeht und auch, was die Verbreitung des Virus angeht. Aber im Grunde kann er ja gar nicht sagen, womit wir es eigentlich als Virus zu tun haben. Wie ist es dazu gekommen, dass die Wahl auf ihn gefallen ist?
Ashok Sridharan: Das war relativ einfach. Kommunale Aufgabe ist es ja nicht, einen Impfstoff zu entwickeln oder zu sehen, wie man von medizinischer Seite mit diesem Virus, mit dieser Pandemie zurechtkommt. Sondern unsere Aufgabe war es zu sehen, welchen Beitrag wir als Kommune leisten können, damit sich das Virus nicht oder jedenfalls nicht so stark weiterverbreitet. Welche Maßnahmen müssen wir dafür in die Wege leiten? Das heißt, der Virologe ist meines Erachtens der Ansprechpartner der Gesundheitsministerien auf Bundes- und Länderebene, der StIKo, des Robert-Koch-Instituts und des BfArM, während die Hygieniker die Ansprechpartner der Kommunen sind, um die Maßnahmen in die Wege zu leiten, die eine Ansteckung nach Möglichkeit verhindern. Und das eben von einer reaktiven Seite, nicht von der von einer medizinischen Seite her.
IwP: Bleiben wir gerne beim Pandemiethema: Jetzt hat nicht jede Kommune eine Universitätsklinik mit einem Hygieniker, aber war das ein Muster, was, was man auch im interkommunalen Austausch bei anderen beobachten konnte? Also sich ganz bewusst dazu zu entscheiden, nicht Virologen zu fragen, sondern jemanden, der sagt: Ich weiß, welche Infektionsschutzmaßnahmen ich empfehlen kann, ich bin aber nicht Virologe. War das eine bewusste Entscheidung, auch in anderen Kommunen?
Ashok Sridharan: Das kann ich nicht sagen. Wir haben natürlich auch mit Prof. Dr. Streeck Kontakt gehabt, der ist ja auch Professor an der Uni Bonn und Virologe am UKB und hat sich ja mit der Heinsberg-Studie durchaus in kommunale Themen eingearbeitet.
IwP: Das ist ja Kern unseres Themas. Also wie geht Wissenschaft bei der Kommunikation und Beratung vor? Wer wird als Experte – und jetzt kommt der entscheidende Punkt – zu welcher Frage befragt? Selten hören wir einen Experten, der sagt: Tut mir leid, das geht über mein Fachthema hinaus.
Ashok Sridharan: Ja, das ist wichtig. Auch da trennt sich die Spreu vom Weizen. Also bei denjenigen Menschen, die sagen: Zu dieser konkreten Frage kann ich selber nichts beitragen, da sind Sie bei meinem Kollegen oder meiner Kollegin mit dem Fachgebiet XY besser aufgehoben. Wir hatten bei Prof. Dr. Exner wirklich das große Glück, dass er genau der Richtige war für die Fragen, die wir im Krisenstab hatten, und dort war er wirklich sehr hilfreich.
IwP: Wenn ich noch einmal auf das andere Beispiel eingehen darf zum Cross-Border-Leases: Sie haben dort als Kommune den Rat eines Rechtswissenschaftler eingeholt, der sagen konnte, was die Konstruktion und Logik dahinter ist. Er konnte aber nichts zur Profitabilität sagen, er war kein Ökonom. War das auch eine bewusste Entscheidung? Oder war es erst einmal wichtig, sich rechtssicher zu bewegen? Und die Bewertung, ob das jetzt lohnenswert ist für die Kommune, wurde dann in Form von interner Expertise abgedeckt?
Ashok Sridharan: Es ist ein paar Jahre her, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, weil ich bei allen internationalen Gesprächen mit dabei war. Uns ging es damals in Königswinter in erster Linie darum, von einem Dritten, der jetzt nicht in einem Lager steht, zu hören: was sind die Vor- und Nachteile und worauf muss man achten, was soll man bedenken? Und das, was den Cross-Border-Verträgen immer vorgeworfen wurde, war einerseits: Keiner versteht, was da drinsteht. Andererseits: Es sind alles geheime Verträge, die nicht veröffentlicht werden dürfen, die Investoren wollen nicht genannt werden und die Risiken sind einfach zu hoch. Und das wollten wir als Stadtverwaltung eben mal herausgearbeitet haben: Wo steckt da der Teufel tatsächlich im Detail und wie kann man damit umgehen? Und da jemanden zu fragen, der sein Geld ausschließlich damit verdient, solche Verträge zum Abschluss zu bringen, war meines Erachtens falsch. Deswegen haben wir eine Kanzlei gesucht, die so etwas nicht zum ersten Mal macht und uns als Stadt begleiten kann. Dafür haben wir auch zusätzliches Geld in die Hand genommen, damit diese Kanzlei uns von A bis Z begleiten kann. Die wirtschaftliche Betrachtung, die haben wir selber vorgenommen. Ich sagte ja auch schon, ich habe immer den Ansatz gehabt, erstens alles zu verstehen und zweitens in der Lage zu sein, das auch den politischen Gremien selbst vorzutragen. Das habe ich auch die ganze Zeit gemacht und das war die Erwartungshaltung der politischen Gremien. Es ging ja nicht nur um Königswinter, sondern wir haben eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet mit einigen Kommunen aus dem Rhein-Sieg-Kreis und einigen Kommunen, die dem Aggerverband angehören, um einerseits das Transaktionsvolumen zu erhöhen und andererseits das Ganze auch von der Beraterseite her wirtschaftlich darstellen zu können. Denn die Berater, insbesondere die amerikanischen, die kosten schon richtig viel Geld. Wir hatten dann ein Transaktionsvolumen von 1,5 Milliarden US-Dollar, das habe ich mit zwei Co-Geschäftsführern gemeinsam verhandelt. Und da war es mir eben persönlich wichtig in den politischen Gremien, in denen ich das Projekt vorgestellt habe, wo ich mich für Fragen zur Verfügung gestellt habe, dass ich diese Fragen auch selber beantworten kann und nicht die Anwälte vorschicke. Trotzdem haben auch die Rechtsanwälte für Rückfragen sehr fundiert und geduldig zur Verfügung gestanden. Und das war schon sehr hilfreich und hat letztlich, glaube ich, dazu geführt, dass zwei Kommunen – zu mehr hat es keine Angebote von amerikanischen Investoren gegeben – diese Verträge abgeschlossen haben.
IwP: Nun waren dies Beispiele, bei denen durch externe Praktiker, also keine Wissenschaftler, beraten wurde. Aber Sie haben ja noch ein Beispiel angefügt, da ging es um die Wasserversorgung. Da möchte ich gerne die Formulierung aufgreifen, die Sie gewählt haben: Sie sprachen nämlich vom „Papst des Wasserrechts“, Prof. Dr. Salzwedel. Ich unterstelle aber, dass man wahrscheinlich Prof. Dr. Salzwedel ein Stück weit auch aus der Motivation heraus konsultiert hat, um der Gegenposition einen „großen Namen“ gegenüberzustellen.
Ashok Sridharan: Also Motivlage war, dass ich aus meinem Studium wusste, dass er da der absolute Spezialist ist, und ich einfach angeboten habe, zu ihm den Kontakt zu suchen. Ich habe ein erstes Gespräch mit ihm geführt und ihn gefragt, ob er das machen würde und wie seine erste Einschätzung ist. Und ich glaube, wenn seine erste Einschätzung jetzt völlig anders gewesen wäre, hätten wir noch einmal darüber nachgedacht, ihm den Auftrag zu erteilen. Es ging schon auch darum, eine namhafte Persönlichkeit, die einfach auch respektiert wird, weil sie eine namhafte Persönlichkeit ist, damit zu beauftragen. Denn wir hatten natürlich die Hoffnung, dass da bei einer wissenschaftlichen Untersuchung bestätigt werden kann, dass die Löschwasserversorgung nicht nur Aufgabe der Kommune ist, sondern auch des Wasserversorgers. Und das hat Prof. Dr. Salzwedel in dem ersten Gespräch schon direkt gesagt.
IwP: Mein Eindruck ist, dass die genannten Beispiele jeweils drei unterschiedliche Motivlage hatten: Beim ersten Beispiel geht es glaube ich nicht um die Wissenschaft, sondern eher um eine praxisorientierte und rechtliche Expertise von außen. Dann um eine für Sie als Juristen wahrscheinlich auch völlig fremde Materie des Hygienikers, der erst einmal einordnen muss, womit wir es hier zu tun haben, wo es auch erst einmal gar nicht um den Namen geht. Und zuletzt Herr Salzwedel, wo es natürlich auch ein Stück weit um den Namen ging.
Ich würde gerne noch einmal zurück auf die größere Ebene. Mich würde Ihre Meinung interessieren, weniger als ehemaligen Kommunalpolitiker und auch Profi für kommunale juristische Fragen, sondern eher als Staatsbürger: Wie ist Ihre Wahrnehmung nach zwei Jahren Pandemie zu der Entwicklung vom Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Politik? Es gibt ja große Kontroversen darüber. Findet vielleicht auch eine Kompetenzverschiebung statt? Hier müssen wir ja auch aus staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht darüber nachdenken, wer legitimiert ist, Entscheidungen zu treffen. Nimmt zu viel Expertise nicht am Ende denjenigen die Entscheidung ab, die dafür vom Wähler beauftragt sind?
Ashok Sridharan: Das kommt ja immer drauf an, wer sich da beraten und begleiten lässt. Ich glaube, dass unsere ehemalige Bundeskanzlerin Frau Merkel, die ja selber Wissenschaftlerin war, sich die Entscheidung nicht hätte abnehmen lassen, sondern dass sie sich tatsächlich wissenschaftlichen Rat eingeholt hat, um eine Entscheidungsgrundlage für sich selber zu haben. Das ist auch der richtige Weg. Ich kann nicht hingehen als gewählter Vertreter eines Landes oder des Bundes und die Entscheidung aus der Hand geben, also die Emanation der Entscheidungsgewalt – das halte ich für den falschen Weg. Aber ich halte es für definitiv richtig, Rat von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft einzuholen. Wobei ich da eben auch darauf achten muss, wen ich frage.
IwP: Für wie wichtig halten Sie die Frage von Evidenz als Entscheidungsgrundlage im Bereich der Kommunalpolitik?
Ashok Sridharan: Wissenschaft kann dazu beitragen, dass etwas evident wird. Aber wenn es schon evident ist, dann ist in der Kommunalverwaltung die Neigung nicht so groß, sich das auch noch einmal bestätigen zu lassen. Aber es gibt eben viele Dinge, die gerade nicht evident sind. Und für diese ist dann wissenschaftliche Expertise enorm hilfreich.
IwP: Vielen Dank! Als letzte Frage: Was glauben Sie, mit Blick auf die Themen, zu denen wir uns hier ausgetauscht haben, wo kann das Institut für wissenschaftliche Politikberatung einen Beitrag leisten?
Ashok Sridharan: Also ich sehe einen klaren Mehrwert. Sie hatten ja gesagt, dass keine Beratung erfolgt durch das IwP. Aber es könnte eine Beratung erfolgen bei der Auswahl von Beratern. Dies von einem unabhängigen Institut wäre, so glaube ich, ein Gewinn für Auftraggeber wissenschaftlicher Studien.
IwP: Das ist ein interessanter Punkt über den wir einmal nachdenken werden. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Ashok Sridharan war Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn. Zuvor war er mehr als 20 Jahre in verschiedenen kommunalen Führungspositionen tätig, u.a. von 2002 bis 2015 als Erster Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Königswinter. Seit Januar 2021 ist er als Rechtsanwalt bei Busse & Miessen tätig.
In dieser Woche startet die Interviewreihe des Instituts für wissenschaftliche Politikberatung. In Hintergrundgesprächen mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur spricht das IwP über die Herausforderungen einer modernen Wissensgesellschaft und der gestiegenen Relevanz wissenschaftlicher Politikberatung.
Die Interviews werden in Kürze hier auf den Seiten des IwP veröffentlicht.
Am 1. Januar 2022 wurde das „Institut für wissenschaftliche Politikberatung“ als eingetragener Verein in der Bundesstadt Bonn gegründet.
Ziel des Instituts ist die Beförderung und Stärkung der beratenden Wissenschaft sowie der Demokratie insgesamt und der sie tragenden politischen Institutionen. Das Institut setzt sich insbesondere für Transparenz im Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik ein. Als Vorsitzender wurden von der Mitgliederversammlung Dr. Stefan Brüggemann, zu seinen Stellvertretern Rechtsanwältin Julia Lau und Mag. theol. Martin Rademacher gewählt.
Brüggemann stellte nicht zuletzt angesichts der Klimakrise und der Corona-Pandemie fest:
„Noch nie war wissensbasierte Politik so wichtig wie heute, allerdings leidet das Ansehen von Politik und Wissenschaft bald gleichermaßen unter immer komplexeren Fragestellungen. Um zukünftig die Glaubwürdigkeit und Autorität sowohl der Wissenschaft als auch der Politik zu stärken, braucht es mehr Transparenz – und dafür setzen wir uns ein!“
Daher werde das finanziell und politisch unabhängige Institut schon im ersten Quartal seine Arbeit aufnehmen. Zunächst sollen qualitative Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über die Bedeutung wissenschaftlicher Politikberatung geführt werden.