„Wissenschaft läuft Gefahr, missbraucht zu werden“

IwP kann deutlich machen, was Wissenschaft und was Politikberatung ist

Interview mit Uwe Thomsen, Geschäftsführer Propan Rheingas GmbH

Institut für wissenschaftliche Politikberatung: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach externe Beratung für die Politik und wie sollte diese aufgestellt sein?

Uwe Thomsen: Ich gehe davon aus, dass wir im Grunde genommen doch als Bürger dieses Staates unsere Interessen vertreten sollten. Bundestagsabgeordnete sind ja auch Interessenvertreter. Und wie das so ist bei Menschen, die können nicht allumfassend alle Problemlagen dieses Lebens kennen und dann auch in Gesetze gießen, sondern es bedarf eines Konsultationsprozess, eines Prozesses des Austauschs zwischen den Betroffenen von Gesetzen und denen, die sie machen. Und derjenige oder diejenige, der sich zurücklehnt und sagt, die werden das schon gut machen, die vergeben die Chance, dass ihre Interessen auch gehört werden. Das heißt ja nicht, dass das, was ich einem Abgeordneten oder einem Ministerium sage, dann am Ende in Gesetzesform umgesetzt wird, sondern dass ich einfach nur meine Position einbringe. Aufgabe des Ministeriums und der Abgeordneten ist es natürlich zu filtern, zu fragen: Wie bringt man das in einen größeren Zusammenhang und ist das in dem größeren Zusammenhang sinnvoll? Wenn diese Stimme aber fehlt, dann kann sie nicht berücksichtigt werden und dann muss ich mich auch nicht wundern, wenn Entscheidungen fallen in Unkenntnis dieses Aspektes und dann vielleicht gegen mich laufen. Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir uns als Bürger und auch als Unternehmen entsprechend in die Entscheidungen einbringen müssen. Einbringen im Sinne von: unsere Betroffenheit, unsere Wünsche adressieren. Insofern glaube ich, dass Gremien immer möglichst breit aufgestellt werden müssen. Beratungsgremien sollten auch breit aufgestellt sein, um eben verschiedene Aspekte der Lebensrealität widerzuspiegeln.

IwP: Wie beurteilen Sie in diesem Kontext insbesondere die Formen der wissenschaftlichen Politikberatung? Was ist die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit – vielleicht wenn wir exemplarisch auch an die Pandemie denken?

Uwe Thomsen: Ich habe Herrn Drosten sehr häufig sagen hören: ich kann nur nach bestem Wissen und Gewissen meine wissenschaftlichen Erkenntnisse kundtun. Die Politik muss entscheiden, was sie daraus macht. Und ich glaube, diese Arbeitsteilung muss man auch wirklich sehr sorgfältig durchhalten. Man muss das immer wieder deutlich machen, dass es diese Arbeitsteilung gibt. Ein politischer Prozess ist Kompromisse finden zwischen verschiedenen Interessengruppen – und das kann auch entgegen wissenschaftlicher Erkenntnis sein. Deshalb ist es trotzdem wichtig, dass die Wissenschaft ihren Kenntnisstand in die Diskussion mit einbringt, damit alle wissen: welche Art Kompromisse machen wir hier eigentlich? Wenn es denn dann welche gibt. 

Vielleicht ist es auch nicht glücklich, wenn Herr Drosten sich neben Herrn Spahn in die Pressekonferenz setzt, weil dadurch einfach eine Vermischung stattfindet. Auf der anderen Seite haben glaube ich viele Menschen in der Vergangenheit auch vor Corona immer wieder gefordert, die Wissenschaft möge sich doch bitte stärker in die öffentliche Debatte einbringen. Andererseits werden Wissenschaftler schon wieder in der eigenen Community angefeindet, wenn sie dann aus Sicht der Community zu vereinfachend Dinge in die Öffentlichkeit bringen, die natürlich nicht hochwissenschaftlich rüberkommen können, sondern allgemeinverständlich sein müssen. Dabei werden aber natürlich Nuancen unterpflügt. Das ist ein wirklich sehr schwieriger Grat auf dem Wissenschaft und Politik hier gehen. Und deshalb müssen sie immer wieder kenntlich machen, dass es hier unterschiedliche Interessen gibt. 

Die Wissenschaft ist interessiert an einem wissenschaftlichen Diskurs und stellt Thesen auf, die bestätigt oder verworfen werden. Dazu gehört es, in einen Diskurs zu gehen. Der Diskurs zwischen Streeck und Drosten wurde jetzt an der Stelle in die Öffentlichkeit gezerrt und vielleicht auch ein Stückchen verzerrt über Profilierungswünsche der Teilnehmer, wenn sie plötzlich vor laufender Kamera diesen Disput austragen und nicht mehr nur in Papers in wissenschaftlichen Zirkeln. Das erhöht noch mal die Problemlage. Aber wir sind am Ende alle Menschen und man muss diesen menschlichen Faktor einfach immer mitdenken, auch wenn Wissenschaftler sich äußern. Diese können sich nicht freimachen davon, dass sie Eitelkeiten unterliegen, der eine mehr, der andere weniger. Und ich glaube, dass wir offen darüber sprechen müssen, dass dies eben so ist. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung, die dort stattgefunden hat, hat in der Öffentlichkeit manchmal den Eindruck erweckt, die Wissenschaftler wüssten auch nicht, wo es langgeht. Das ist natürlich schwierig, weil viele Menschen einfach nicht wissen, wie Wissenschaft funktioniert. Das ist eben auch ein Bildungsthema: Je besser die Menschen ausgebildet sind, desto eher sind sie in der Lage, Diskurse richtig einzuschätzen. Das ist auch ein Bildungsauftrag.

IwP: Vielleicht kann das auch dazu führen, dass eine Gesellschaft, die in ihrer Breite viel mehr verstanden hat, wie Wissenschaft funktioniert – Pluralität der Ansätze – das Verständnis dafür hat, dass weder Herr Streeck noch Herr Drosten sich im Irrtum befinden. Aber offen bleibt doch die Frage welche Stimme der Wissenschaft gehört wird und welche nicht?

Uwe Thomsen: Das ist eine politische Entscheidung, die auf die Position des Politikers einzahlen soll. Der holt sich ja denjenigen an die Seite, von dem er glaubt, dass er der Botschaft, die er senden will, am meisten nützt. An der Stelle läuft die Wissenschaft Gefahr, missbraucht zu werden. Eigentlich ist es ein Zeichen der Schwäche von Politikern, wenn sie glauben, ihre eigene Position unterstreichen zu müssen, indem sie sich wissenschaftliche Expertise an die Seite holen. Das hat natürlich auch was mit Kommunikationsregeln zu tun. Eigentlich müsste der Politiker sich doch hinsetzen und sagen: Wissenschaftlicher Stand ist X, politisch machen wir aber jetzt Y daraus, weil es noch andere Aspekte gibt, die zu berücksichtigen sind. Wenn der Gesundheitsminister sich einen Virologen an die Seite stellt, ist das ja auch nur ein Aspekt. Was ist denn mit Hygenikern? Dass das immer nur ein Ausschnitt ist, hat Drosten aus meiner Sicht immer versucht herauszuarbeiten in den Interviews. Wo die Diskussion aus meiner Sicht immer zu sehr verengt war, dass man den Virologen extrem viel Raum gegeben hat. Das ist in der Notsituation verständlich, weil es erst mal darum geht, die akute Gefahr zu bannen. 

Andere wissenschaftliche Felder hatten weniger Raum: was bedeutet es wirtschaftlich, was bedeutet es psychologisch? Alle möglichen Lebensbereiche der Menschen hat es ja betroffen. Und dann nehmen Menschen ja auch Schaden in diesem Prozess, auch durch die Maßnahmen, die ergriffen werden. Solche Diskussionen hat man vielleicht im Ethikrat geführt, wo man breiter aufgestellt ist, aber das hat mehr im Hintergrund stattgefunden. Im Vordergrund stand die akute Krisenbewältigung durch die Expertise von Virologen. Und ich glaube, dass das viele Menschen auch kritisiert haben. Das sieht man ja auch jetzt: Es „gibt“ ja kein Corona mehr, es „gibt“ jetzt nur noch Ukraine, weil wir – glaube ich – auch so angelegt sind: Wir können nur das, was einem am wichtigsten erscheint, was uns am unmittelbarsten bedroht, managen, und alles andere kommt dann danach. Aus meiner Sicht ist es nicht glücklich, wenn Wissenschaft sich neben einen Politiker setzt, um politische Botschaften zu unterstützen. Denn die können immer nur Kompromisse sein und das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Diese wissenschaftliche Erkenntnis oder Expertise von Herrn Drosten und anderen muss einfließen in diese politischen Entscheidungen. Aber, sich so eine „Macht“ daneben zu setzen, nach dem Motto: wenn ihr mir nicht glaubt, dann fragt doch den, das ist eigentlich eine Schwäche der Politik.

IwP: Das war rückblickend nur erklärbar durch die Genese dieser völlig unbekannten Situation. Da hat man ein Stück weit eine Autorität eingesetzt, die man auch nicht wieder abschütteln konnte. Ist das auch der politischen Logik geschuldet?

Uwe Thomsen: Das ist jetzt vielleicht nochmal Zweierlei: Der Experte aus dem RKI, der hat ja wiederum eine öffentliche Funktion. Der ist ja nicht nur Wissenschaftler, sondern der muss ja auch Maßnahmen, die auch eine Bindungswirkung haben, in die Öffentlichkeit tragen und auch zusehen, dass die durchgesetzt werden. Insofern finde ich, dass das RKI vielleicht noch mal eine etwas andere Rolle hat als eine rein wissenschaftliche. Aber Drosten oder Streeck haben eigentlich nur eine wissenschaftliche Funktion: die sind nicht gewählt, die sind nicht in Gremien berufen. Und sie sind auch keine Beamten, die verpflichtet werden, dem öffentlichen Wohl zu dienen, sondern die sollen „Wissenschaft machen“.

IwP: Das ist ja noch mal eine ganz eigene, spannende Diskussion. Aber wenn Sie erlauben, würde ich gerne ein bisschen von dem Themenkomplex wegkommen und an das andere große Thema denken, was in meiner Wahrnehmung in ähnlicher Weise mit diesem großen Wort „der Wissenschaft“ verknüpft ist. Und ich sage es bewusst so, weil ich glaube, dass das schon nach unserer Auffassung ein Stück weit Teil des Problems ist, insofern, als dass es wenig transparent und wenig differenziert ist von „der Wissenschaft“ zu sprechen. Die ist auch häufig bei der Debatte zur Klimaschutzpolitik der Fall. Da sind Sie natürlich ein Stück weit einer Branche entstammend, die in diesem Gesamtgefüge ja auch Teil ist. Was ist da Ihre Wahrnehmung? Welche Rolle spielt wissenschaftliche Beratung, wenn sie sich der Politik andient oder von der Politik hinzugezogen wird in diesem Themenfeld?

Uwe Thomsen: Hier gilt im Grunde genommen dasselbe. Die Wissenschaftler, ob das das Potsdamer Institut für Klimaforschung oder andere sind, können natürlich nur ihre Erkenntnisse beisteuern. Entscheiden muss die Politik, und da muss sie eben auch andere Dinge berücksichtigen als das, was ihnen die Klimaforscher sagen. Das sehen wir ja jetzt auch in den Ereignissen rund um den Krieg in der Ukraine. Plötzlich bekommen ja doch die Themen Wohlstand, soziale Sicherheit etc. einen anderen Stellenwert. Denn man hätte ja auch sagen können: Eigentlich wollten wir schon immer, dass die Energiepreise hochgehen, wie sie jetzt sind, denn das motiviert die Menschen, umzudenken. Was macht man stattdessen? Man denkt darüber nach, wie man die die Menschen entlasten kann. Man sorgt dafür, dass Gas auch aus anderen Regionen dieser Welt kommt. Und das sind auch nicht alles „lupenreine Demokratien“, um ein Zitat von Herrn Schröder ins Spiel zu bringen. Es geht doch darum, politisch die gesellschaftlichen Befindlichkeiten aufzunehmen und sie dann in Entscheidungen zu packen. Da gehört das Thema Klimaschutz mit rein und dem wir müssen Rechnung tragen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich fast alle in Deutschland einig. Aber wir müssen es so gestalten, dass es für die Menschen verkraftbar ist. Darüber streiten wir jetzt im Grunde genommen im politischen Prozess. Was sind denn die richtigen Schritte? Als Unternehmen, das in der Energiebranche tätig ist, kann ich nur sagen: Die Effizienz der Energieversorgung ist im Grunde ein Gradmesser für den Wohlstand in dieser Gesellschaft – schon immer gewesen. Also wenn wir Effizienzsprünge gemacht haben, dann haben wir auch Wohlstandsgewinne organisiert. Wenn wir jetzt sozusagen den Prozess umkehren, werden wir auch Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Und die Frage ist ja: Was sind wir bereit aufzugeben? Und als Unternehmen der Energiebranche kann ich hier nur sagen: Wir müssen das so gut wie irgend möglich tun, damit wir den Wohlstand dieser Gesellschaft erhalten können. Und dabei habe ich das Gefühl, dass das Wort „Wohlstand“ schon fast ein Geschmäckle bekommt. Wenn man das konkret herunterbricht, bedeutet das: welchen Stand haben unsere Sozialsysteme? Was können wir uns an Transferleistungen eigentlich leisten, hin zu den sozial Schwächsten? Wie gut ausgestattet ist unser Gesundheitssystem? Wir waren froh, dass unser Gesundheitssystem im weltweiten Vergleich eigentlich ganz gut aufgestellt ist. Das haben wir in der Pandemie gemerkt. Das werden wir nicht einfach aufgeben wollen. Und diverse andere soziale Dinge, die wir heute tun, auch in Richtung Umweltschutz, können wir deshalb, weil die Industrie in den letzten 20 Jahren oder zehn Jahren so viel Geld verdient hat, die Menschen so viel Geld verdient haben, dass dieser Staat sich das heute leisten kann. Die Bazooka von Herrn Scholz war ja nur möglich, weil die Steuerquellen so gesprudelt sind. Und das fällt  nicht vom Himmel.

IwP: Damit haben wir ja schon ein Stück weit über Realpolitik gesprochen. Aber ist das auch etwas, von dem Sie glauben, dass es mehr in der Beratung von Politik durch Wissenschaft stattfinden muss, in Form eines multiperspektivischen Ansatzes? Oder sehen Sie das schon ausreichend vertreten? Geht das eigentlich Hand in Hand oder ist es etwas, was wir in der Argumentation nur als Feigenblatt erwähnen? Oder ist es so, dass nur partiell zitiert wird? Die Wissenschaft wird zitiert, wenn es um den Klimawandel und die Ursachen des Klimawandels geht, sie wird aber weniger zitiert, wenn es um die sozialen Folgen einer Klimaschutzpolitik geht? Vor drei Jahren haben wir über NOx gesprochen, über Fahrverbote und den Diesel. Das ist ja mittlerweile offensichtlich auch nicht mehr das Thema, über das wir hier streiten müssen. Und trotzdem war das alles auch etwas, wofür es wissenschafltiche Evidenz gibt. Wobei ich mich, auch da sage ich wieder, als Geisteswissenschaftler, immer gewundert habe, wie man errechnen konnte, dass soundso viele Menschen eine kürzere Lebenszeit haben, weil sie beispielsweise in Bonn an der Reuterstraße wohnen. Wie ist da Ihre vielleicht auch branchenspezifische Wahrnehmung und konkrete Erfahrungen mit Blick auf zitierte wissenschaftliche Evidenz, wenn es um dieses Multiperspektivische geht?

Uwe Thomsen: Wissenschaft wird dann zitiert, wenn es meiner Meinung nutzt. Das, würde ich mal sagen, ist ein sehr häufiges Phänomen. Und die, die das am lautesten tun, dringen auch am meisten durch. Neben einer sehr spezialisierten Wissenschaft, derer es ja zweifellos bedarf, bedarf es auch einer stärkeren interdisziplinären Wissenschaft. Ich glaube, die Zusammenhänge müssen noch mal viel stärker gemacht werden. Dadurch, dass wir uns in den Disziplinen so sehr spezialisieren, geht der Blick für das gemeinsame Ganze verloren, das ist das große Bild. Und ich glaube, dass es sehr lohnenswert wäre, wenn sich Wissenschaftler dazu bereit fänden zu sagen: Ich will das Systemische noch stärker verstehen, wie Dinge eigentlich zusammenwirken und welche Auswirkungen sie haben. Und ja, dann kann ich nicht in jedem einzelnen Detail drin sein. Aber das ist dann eben auch eine wissenschaftliche Aufgabe, diese Themen systemisch zusammenzuführen. 

Und ich glaube, Wissenschaftsjournalismus wird unterschätzt. Wissenschaftsjournalismus hätte eigentlich eine viel größere Aufgabe in der Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für nicht wissenschaftlich oder nicht in diesen Disziplinen wissenschaftlich ausgebildete Menschen. Er könnten vielleicht eher dafür sorgen, dass Themen zusammengedacht werden, indem er die verschiedenen Disziplinen auf dem Schirm hat.

IwP: In der Pandemie hatte ich häufig den Eindruck: Ich höre Zahlen hier, ich höre Zahlen dort – ganz viel Zahlenwerk, was natürlich auch von einer gewissen wissenschaftlichen Autorität geprägt ist. Zahlen lügen nicht, die Wissenschaft lügt nicht, sind hier die Schlagworte. Aber die Einsortierung hat meines Erachtens häufig gefehlt. Und schwupps kam der R-Wert, dann war es die Inzidenz, dann sind es die absoluten Zahlen der Neuinfektionen…

Uwe Thomsen: Es sind immer nur Annäherungen an die Wirklichkeit. Und es sind immer nur Krücken, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die man trifft, und man versucht diese an einem Wert festzumachen, der das Geschehen einigermaßen beschreibt. Das sozusagen als ein absolutes Muss in Raum zu stellen, ist halt falsch. Aber die Politik hilft sich dann natürlich, indem sie sagt: So, das ist jetzt der Wert, das ist die absolute Größe, die Wahrheit, die uns dabei hilft zu sagen: Hopp oder topp. Und es muss immer klar sein, das hätte auch ein anderer Wert sein können.

IwP: Vielleicht noch eine Ausblicksfrage: was glauben Sie, könnten wir leisten? Wo sehen Sie eine Aufgabe für das IwP?

Uwe Thomsen: Ich habe ja schon versucht zu beschreiben, woran es uns eigentlich mangelt: es mangelt daran, mehr offenzulegen. Transparenz eben. Das ist schon fast ein Buzzword, aber eigentlich ein berechtigtes Buzzword. Dass man transparenter macht, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, dass man klarer trennt: Was ist jetzt hier an dieser Stelle Wissenschaft? Und was ist an dieser Stelle Politikberatung, also die Übertragung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den politischen Prozess? Und wo liegen eigentlich die Kompromisse, die hier gemacht werden müssen, auch zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Ansichten aus verschiedenen Disziplinen heraus? Dadurch einfach den Menschen offenlegen, wo eigentlich die Bruchstellen sind. Keine Entscheidung, die wir heute treffen, ist eine optimale Entscheidung, das gibt es nicht. Es gibt immer nur für bestimmte Menschen möglichst gute Entscheidungen und die sind wahrscheinlich auch nicht optimal, weil man immer an irgendeiner Stelle einen Abstrich macht. Aber das macht doch auch das Wesen von Demokratien aus, dass wir in der Lage sind, die Prozesse so zu steuern, dass wir einen möglichst großen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft erreichen können. Und dazu braucht es, glaube ich, Transparenz. Spontan würde ich sagen, dass es „Querdenker“ und so weiter gibt, liegt ja auch daran, dass es hier ein Misstrauen gegenüber Wissenschaft, politischen Entscheidungen und so weiter gibt. Und das wäre ja mal zu ergründen: Woher kommt dieses Misstrauen eigentlich? Da kommt dann schnell: Ja, die wollen sich ja alle nur die Taschen voll machen. Ja, natürlich wollen wir mit dem, was wir tun, uns ein möglichst gutes Leben organisieren, was auch immer wir unter gutem Leben verstehen. Das muss man immer mitdenken, dass natürlich auch Eigennutz Antrieb jeder Tätigkeit ist, im Übrigen auch bei denen, die es beklagen. Und das ist ja gerade der politische Prozess, daraus einen Ausgleich zu machen zwischen den Akteuren, so dass wir alle sagen können: Okay, das ist jetzt nicht alles, was ich für mich gut finde, aber es ist gut genug, um damit gut leben zu können. Und dafür bedarf es aber eines offenen Diskurses genau über diesen Umstand.

IwP: Vielen Dank für das Gespräch!