„Wissenschaft hat die Aufgabe, auch langfristige Entwicklungen und Trends deutlich zu machen“
IwP kann hierbei unterstützen
Interview mit Jürgen Pütz, Vorstandsvorsitzender der Volksband Köln Bonn eG
Institut für wissenschaftliche Politikberatung: Nehmen Sie wahr, dass wir in der Wissensgesellschaft eine höhere Relevanz vom Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik sehen können? Nicht nur als Vorstandsvorsitzender der Volksbank Köln Bonn, sondern auch als Privatmensch, als Mediennutzer, als Wähler – was ist da Ihr Eindruck?
Jürgen Pütz: Am prägnantesten für mich ist die Coronapandemie, in der aus meiner Sicht noch mal wirklich deutlich geworden ist, was auf der einen Seite die Rolle der Wissenschaft ist und welche Rolle die Politik spielt. Wissenschaft soll Informationen geben, Dinge versachlichen, Entscheidungsgrundlagen schaffen. Das ist in meiner Wahrnehmung teilweise auch sehr medial wahrgenommen worden. Viele Wissenschaftler haben das auch genutzt, um ihre Lehre, aber auch ihre Person nach vorne zu bringen. Auf der anderen Seite steht die Politik, die gefordert ist, die Inhalte in pragmatische Lösungen für das Leben der Menschen zu übersetzen. Die Politik muss die Sachverhalte verständlich erklären und damit auch Akzeptanz schaffen. In der Pandemie hat man gesehen, wie schwierig das sein kann. Deutlich wird, dass Politik eben auch die Übernahme von Verantwortung bedeutet. Und der ein oder andere – so hatte ich das Gefühl – hat dann auch versucht, sich hinter der Wissenschaft zu verstecken, nach dem Motto: Das muss so sein, weil die Wissenschaft uns das vorgibt.
IwP: In einer Demokratie hat auch der Ahnungslose das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Glauben Sie, dass das auch dauerhaft ein Problem für die repräsentative Demokratie darstellen würde, wenn zunehmend – Stichwort Expertokratie – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Ton angeben und der Politik sagen, wo es langgeht?
Jürgen Pütz: Zum einen finde ich es eine Stärke der Demokratie, dass wir es auch aushalten, andere Meinungen, die vielleicht wissenschaftlich gar nicht fundiert sind, anzuhören. Bei Querdenkern gibt es häufig Medienauftritte, bei denen man sich die Frage stellt: Was treibt diese Menschen um, was denken die? Aber das halten wir als Demokratie aus, wir geben sogar die Medienbühne. Das halte ich für eine große Stärke der Demokratie. Dann bin ich der Meinung, dass es vom Grundsatz her gut und wichtig ist, wenn auch die Wissenschaft Input gibt. Subjektiv gefühlt sinkt teilweise die Qualität der Politik, weil immer weniger Menschen die Bereitschaft haben, politische Verantwortung, politische Ämter und auch Ehrenämter wahrzunehmen. Das fängt auf kommunaler Ebene an. Wenn Sie sich die Zusammensetzung des Bundestages anschauen, sehen Sie nicht mehr die Abbildung der Gesellschaft. Somit kann die Qualität von Wissenschaft hilfreich sein. Wenn das allerdings dazu führt, dass sich verantwortliche Menschen in der Politik dahinter verstecken, dann wird es schwierig. Ich habe eben das Stichwort Verantwortung genannt: Wenn man ein Mandat bekommt, hat man einen Auftrag und auch eine Verantwortung. Das Expertentum hilfreich sein kann, zeigt sich aktuell in Italien. Mario Draghi gehörtkeiner politischen Partei an, genießt aber nun wirklich Expertenstatus. Das hat dieser Demokratie sehr, sehr gutgetan – einmal raus aus diesem Parteienlager zu kommen und eine sachlich fundierte Politik im Sinne der Bürger zu machen.
IwP: Haben Sie den Eindruck, dass Draghi auch hinsichtlich seiner speziellen Sachkenntnis Italien gutgetan hat?
Jürgen Pütz: Das ist meine subjektive Außenwahrnehmung. Draghi war fachlich anerkannt und hatte daher Akzeptanz. Aber sein Erfolgsfaktor war das Thema Integrität. Man hat ihm einfach abgekauft, dass es ihm wirklich um das Land, um die Sache und nicht um eigene Vorteilsnahme geht. Ich glaube, er hat einfach eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung gehabt, das war sein absolutes Plus.
IwP: Forsa führt ja regelmäßig Umfragen zur Glaubwürdigkeit von Institutionen durch. Hier schneidet die Wissenschaft immer recht gut ab, weit vor der Politik, aber auch vor Polizei, Bundeswehr und Ärzten. Und das unterstreicht ja einerseits das, was Sie gerade gesagt haben, dass im Idealfall das Gemeinwesen, in dem Fall auch das politische Gemeinwesen, davon profitieren kann, wenn wissenschaftliche Experten einbezogen werden. Das bedeutet aber auch, dass in Teilen auch die Gefahr bestehen kann, dass sich das abnutzt. Wir kennen zum Beispiel auch das Phänomen Experte und Gegenexperte. Hier ist der normale Bürger zudem kaum in der Lage zu unterscheiden: Wer ist überhaupt ein Wissenschaftler und weiter: wer ist ein guter Wissenschaftler? Diese Frage kann sich ja nur aus der Wissenschaft selbst beantworten.
Wie nehmen Sie das speziell für das Finanzwesen wahr? Noch im letzten Jahr hat zum Beispiel Marcel Fratzscher, der Präsident des DIW, die Inflation als die geringste Sorge bezeichnet, jetzt kratzen wir an den 8 % in Deutschland, und die Inflation ist doch zumindest im politischen Berlin ein gehöriges Problem geworden.
Jürgen Pütz: Ich denke, die Bedeutung der Wissenschaft in unserem Land ist auch ein Stück weit historisch bedingt: „Deutschland als Volk der Dichter und Denker“. Wir sind in unserer Wirtschaftsleistung sehr stark auf Know-How und Technologievorsprung angewiesen, weil wir sonst wenige Ressourcen haben.
Schauen wir mit unseren Maßstäben ins Ausland auf Regierungsentwicklungen unter Trump oder Johnson, sehen wir, wie mit Unwahrheiten Politik gemacht wird. Viele Menschen nehmen das so hin und schon spielt die Wissenschaft keine so wichtige Rolle mehr.
Das ist eine gefährliche Entwicklung, die natürlich auch die Bedeutung der Wissenschaft zurückdrängen kann, weil Fakten dann keine Rolle mehr spielen.
Es gibt auch kritische Stimmen, die einen Herbst der Proteste prognostizieren, bei denen das Thema Energiewende Unruhe schürt, für die man eben auch bewusst populistische Strömungen nutzt, um damit Politik zu machen. Hier muss die Wissenschaft aufpassen, dass man Gehör behält und dass man mit Argumenten nach außen dringt.
Deswegen finde ich auch nach wie vor sehr wichtig, dass wir auf eine Medienlandschaft mit öffentlichen Sendern vertrauen. Ich glaube, das ist für unsere Demokratie ganz elementar. Und da zahle ich gerne meine Rundfunkgebühren, auch wenn es dort Fehlentwicklungen wie in jedem System gibt.
Wissenschaftler wie Fratzscher stehen natürlich auch in der Öffentlichkeit. Fratzscher ist dabei nicht unumstritten und polarisiert sehr stark. Auch Feld benennt kritische Dinge, etwa dass wir uns in den nächsten Jahren auf einen Wohlstandsverlust einstellen müssen.
Was das Thema Inflation angeht, da sind wir sehr schnell bei der Rolle der Europäischen Zentralbank. Sie ist eigentlich eine unabhängige Institution, die den Auftrag übernommen hat, Währungsstabilität zu gewährleisten. In meiner Wahrnehmung wird hier aber seit Jahren priorisiert, den Euro zu retten und Staatsfinanzierung zu betreiben. Nichts anderes geschieht, wenn sie Staatsanleihen in großer Form aufkauft, die Bilanzsumme aufbläht, die Zinsen niedrig hält und damit die Defizite der Staaten finanziert. Jetzt kommt die EZB unter Zugzwang, weil eine Inflation nicht sofort, aber eben auf Dauer gefährlich ist. Sie nimmt den Menschen das Geld weg und das ist immer spürbarer und die Zurückhaltung der Verbraucher ist bereits zu sehen. Die Einzelhandelsumsätze weisen im letzten Monat bereits ein Minus von 9 Prozent aus. Und da hat die EZB zu spät reagiert und ist jetzt unter Zugzwang, die Zinsen zu erhöhen. Steigende Zinsen sind nicht gut für die Wirtschaft. Investitionen werden zurückgehalten, was wir heute schon im Baubereich spüren.
Der Satz „Nie war es so schwer, die Zukunft vorherzusagen“, gilt im Moment mehr denn je.
IwP: Ein weiteres finanzpolitisches Thema ist die Übergewinnsteuer.
Jürgen Pütz: Ich finde das Thema Übergewinnsteuer spannend. Ich bin da etwas gespalten. Ich kann die Argumentation verstehen, dass es im Wirtschaftssystem nicht funktioniert, wenn man einzelne Unternehmen herausgreift, die gesondert besteuert werden. Wenn das Unternehmen Gewinne macht, dann zahlt es dafür Steuern wie Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer. Das ist alles geregelt. Auf der anderen Seite steht der Verbraucher, der Gewinne sieht, die in der Krise teilweise vervierfacht wurden. Da kommt schon das Gefühl auf, dass unsere Wirtschaftsordnung so nicht funktioniert und dass eingegriffen werden muss. Es kann nicht sein, dass sich letztendlich Unternehmen bereichern zulasten der Allgemeinheit. Also kann ich dem etwas abgewinnen und andere Länder machen es ja auch. Ich kann die Diskussion durchaus verstehen.
IwP: Die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Bewertung ist die eine. Die andere ist, wie aus wissenschaftlicher Sicht auch Ordnungspolitik betrieben wird. Das ist ja unser Thema: Der Nimbus der Wissenschaft, die Autorität, die Glaubwürdigkeit, die sie jetzt hat. Das ist zugleich auch eine Momentaufnahme: wir wissen nicht, wie sich das in ein, zwei, drei Jahren entwickelt – in Teilen der Gesellschaft haben wir ja schon die Situation, dass da eine Wissenschaftsungläubigkeit existiert oder dass man sich seine „eigenen“ Experten herauspickt. Das Ziel des IwP ist ja, über die Schaffung von Transparenz am Ende die Institutionen zu stärken. Welche Betätigungsfelder sehen Sie da zukünftig für uns?
Jürgen Pütz: Was mich umtreibt bei der Diskussion um Wissenschaft und Politik, ist die Frage der Fristigkeit. Wissenschaft hat die Aufgabe, auch langfristige Entwicklungen und Trends deutlich zu machen. Und unser Politiksystem ist eben immer auf Wiederwahlpunkte fixiert. Alle 4 bis 5 Jahre stellt die Politik sich dem Votum des Wählers und will möglichst viel Zustimmung bekommen. Ich nehme wahr, dass häufig über diese kurz- bis mittelfristige politische Ära langfristige Trends nicht aufgegriffen oder entsprechend auch nicht umgesetzt werden. Denken Sie an das Thema Altersversorgung. Es ist klar, dass das System in der jetzigen Form auf Dauer so nicht funktionieren kann. Das weiß auch jeder. Aber die Politik reagiert nicht oder unzureichend. Wir werden entweder weniger herausbekommen, wir müssen mehr einzahlen, oder wir brauchen mehr Zuwanderung, die das System stützt. Das sind die Entwicklungen, die Wissenschaftler sehr deutlich und transparent aufzeigen, die aber innerhalb des politischen Systems mit der Fristigkeit hin zu Wahlterminen nicht mit der nötigen Vehemenz und Verantwortung aufgenommen werden. Diesen Widerstreit gilt es transparent zu machen.
IwP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pütz!