„Rat von Experten wichtig, aber ich muss darauf achten, wen ich frage“
Interview mit Ashok Sridharan, Rechtsanwalt und Oberbürgermeister a. D.
IwP: Als Oberbürgermeister, davor mit vielen Berufsjahren in der kommunalen Verwaltung und als Kämmerer von Königswinter haben Sie einen besonderen Erfahrungsschatz im kommunalen Bereich. Wie schätzen Sie hier grundsätzlich die Bedeutung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen für Politik, also Bundespolitik, Landespolitik oder auch Kommunalpolitik ein? Welche Rolle spielt da Ihrer Erfahrung nach überhaupt die Wissenschaft – und gibt es eine? Ist eine Steigerungstendenz erkennbar?
Ashok Sridharan: Für die Landes- und Bundespolitik kann ich nicht sprechen, weil ich dort nie tätig war, sondern ausschließlich 25 Jahre lang in Kommunalverwaltungen und Kommunalpolitik. Und wenn ich jetzt über Wissenschaft spreche, dann meine ich nicht nur die forschende und lehrende Wissenschaft, sondern auch die praktisch arbeitende Wissenschaft, das heißt Menschen mit akademischen Hintergrund, die in beratender Funktion tätig sind. Oder geht es wirklich um Wissenschaftler, die als Wissenschaftler gefragt werden, auch wenn sie nicht zum Beispiel in beratender Funktion in einem Ingenieurbüro tätig sind?
IwP: Das ist ein wichtiger Punkt, weil es ja auch darum geht, woraus „Autorität“ hergeleitet wird. Und wenn jemand mit einem wissenschaftlichen Hintergrund zu einer bestimmten Sachfrage gefragt wird und dabei auch für Dritte sichtbar ist, dass es sich um einen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen handelt, ist das ja kein irrelevanter Aspekt, zu wissen, dass jemand in seinem übrigen Tun wissenschaftsbasiert arbeitet, nach den Regeln der Wissenschaft und insofern natürlich auch daher seine „Autorität“ bezieht. Da gibt es mit Sicherheit auch Sachverständige mit akademischen Titeln, die in besonderer Weise damit auch auffallen und das vielleicht auch in der Kommunalpolitik tun. Wie verhält es sich da?
Ashok Sridharan: Persönlich habe ich insbesondere in meinen letzten Monaten als Oberbürgermeister ganz stark auf die Wissenschaft gesetzt, und zwar mit Beginn der Pandemie in dem dafür gebildeten Krisenstab. Mitglied des Krisenstabs ist damals Professor Exner gewesen. Und das, was ich an Professor Exner so geschätzt habe, ist einerseits seine völlige Unabhängigkeit, weil er weder in der Kommunalverwaltung noch in der Landesverwaltung oder der Bundesverwaltung tätig ist und andererseits seine Expertise. Vor dem Hintergrund ist mir seine Einschätzung auch im Krisenstab wirklich sehr, sehr wichtig gewesen. Und das ist, wie ich finde, wirklich ein sehr gutes Beispiel für wissenschaftliche Unterstützung in der Tagesarbeit der Kommunalpolitik oder Kommunalverwaltung. Mit wem ich mich auch zum Beispiel im Rahmen der Gespräche über das Bonn-Berlin-Gesetz ausgetauscht habe, ist Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, der als Verfassungsrechtler und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht natürlich über eine ausgesprochene Expertise verfügt. Es ist grundsätzlich immer ein Vergnügen mit ihm zu sprechen, aber sich eben auch zu solchen Dingen auszutauschen, weil es einfach hilft, eventuell noch mal einen anderen Blick auf die Dinge zu richten und Aspekte in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen, auf die man selber vielleicht nicht gekommen ist. Insofern sind das, wenn ich jetzt die letzten Jahre betrachte, also die Bereiche, wo ich selber unmittelbar mich von Wissenschaftlern habe begleiten und beraten lassen, glaube ich zwei ganz gute Beispiele.
Wenn ich den Blick noch ein bisschen weiter zurück werfe auf meine Tätigkeit in Königswinter, ist es auch dort so gewesen, dass wir uns als Stadtverwaltung in unterschiedlichen Bereichen wissenschaftlichen Rat eingeholt haben, natürlich nach entsprechenden Beschlüssen in den kommunalen Gremien und auch da möchte ich drei Beispiele geben. In Königswinter hat es ein veritables Problem mit der Löschwasserversorgung gegeben. Es war in vielen Teilen der Stadt nicht sichergestellt, dass ausreichend Löschwasser im Brandfall zur Verfügung steht. Die Stadt hat seinerzeit die Wasserversorger angesprochen und zum Handeln aufgefordert. Das ist nicht bei allen Wasserversorgern auf offene Ohren gestoßen. Es ist von einem Versorger darauf hingewiesen worden, das sei eine kommunale Aufgabe. Und das ist ja auf der einen Seite eine Rechtsfrage, auf der anderen Seite eine Frage, die natürlich in ganz, ganz viele Bereiche ausstrahlt: Kann ich da noch Baugenehmigungen erteilen? Wie kann ich die Wasserversorgung sicherstellen für die Gebäude, die schon da sind? Was ist mit den Menschen, die da leben? Können die dann auch sicher leben? Vor diesem Hintergrund haben wir uns seinerzeit gemeinsam dazu entschieden, Prof. Dr. Salzwedel, den damaligen „Papst“ im deutschen Wasserrecht, um seine Unterstützung und seine wissenschaftliche Expertise zu bitten zu dem Thema, um das Ganze eben nicht parteipolitisch oder nur von einer Seite zu betrachten, sondern von jemandem, der sich damit schon seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlich auseinandersetzt.
Ein anderes Beispiel, auch wieder in Zusammenhang mit Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio: Die Stadt Königswinter hatte seinerzeit Wahlautomaten beschafft, die es ja mal gegeben hat für die Durchführung von Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Und das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit mit dem Berichterstatter Prof Dr. Dr. Udo di Fabio diese Wahlautomaten für unzulässig erklärt. Und auch da war es sehr spannend, mit ihm darüber zu sprechen, was ihn veranlasst hat, diese Wahlautomaten, die die Stadt einen sechsstelligen Betrag gekostet haben, für unzulässig zu erklären.
Und zwei weitere Themenkomplexe, bei denen es mir auch auf eine wissenschaftliche Begleitung und Beratung ankam, waren Public-Private-Partnerships, weil das ja ein Modell war für Realisierung öffentlicher Infrastruktur, das wirklich umstritten war und es mir deswegen darauf ankam, das so zu sortieren, dass man die Vor- und Nachteile gegenüberstellt und dann anhand konkreter Projekte entscheidet: Wie läuft das denn? Oder wie kann man auch die Kritiker besänftigen oder mitnehmen? Und der andere Punkt, wo das noch viel wichtiger war, war bei den sogenannten US-Cross-Border-Leases. Auch da ist es so, dass es ja zum Beispiel Anwaltskanzleien gegeben hat, die Kommunen dazu gebracht haben, solche Deals abzuschließen. Und da jemanden von außen zu holen, der, ohne in einem Lager zu stehen, hingeht und das erklärt und das auch den politischen Gremien erklärt, ist unheimlich wichtig für eine objektivierte Entscheidungsfindung. Also ganz objektiv kann man nie sein, aber dort von jemandem, der unabhängig ist, beraten und begleitet zu werden, das ergibt nach meiner Einschätzung, nach meiner Erfahrung sehr viel Sinn.
IwP: Wer war der Experte bei den Leasing-Verträgen? Hat es sich um eine juristische Beratung gehandelt?
Ashok Sridharan: Das war eine juristische Beratung, ein Rechtsanwalt, der uns als unabhängiger Anwalt begleitet hat und nicht Teil der Cross-Border-Lease-Anwälten war. Das war extrem hilfreich. Trotzdem finde ich es bei allen Beratungen immer wichtig, dass man dann sich eben nicht ausschließlich auf die Büros verlässt, von denen man sich beraten lässt, sondern sich so ins Bild setzen lässt, dass man seinem Stadtrat auch selber erklären kann, worum es geht und wo die Chancen und Risiken liegen. Das war immer mein Ansatz. Beratung ja, aber ich musste es selber so verstanden haben, dass ich es einem Dritten erklären kann. Egal, ob das Public-Private Partnerships waren oder US Cross-Border-Leases oder die pandemiebedingten Einschränkungen. Ich wollte es immer so verstanden haben, dass ich es selber meinem Stadtrat erklären kann.
IwP: Wunderbare Beispiele. Herr Exner ist Professor an der Uni Bonn. Er ist nach meinem Kenntnisstand Professor für Fragen der Hygiene und der Aerosolentwicklung. Waren denn auch andere Wissenschaftler in dem Expertenrat?
Ashok Sridharan: Er war der einzige in unserem Krisenstab. Aber Prof. Dr. Exner ist ja auch im Beraterstab der Kanzlerin gewesen. Ich weiß aber nicht, ob er das heute noch ist, und da ist er natürlich nicht der einzige Wissenschaftler gewesen. Ich fand das immer sehr schön, weil Professor Exner seine Ausführungen immer mit ganz praktischen Beispielen verbunden hat: Es ging um die Risiken, die bestehen und wie man damit umzugehen hat. Und das ist völlig richtig, er ist Hygienemediziner und da sicherlich einer der führenden in Deutschland, und die Zusammenarbeit mit ihm hat der Stadt, aber auch mir persönlich viel gebracht.
IwP: Wenn ich jetzt etwas mehr als zwei Jahre zurückdenke, stand man ja vor einer riesigen Sammlung von Fragen. Erst mal hat man ein unbekanntes Virus, das wäre also wissenschaftlich betrachtet ein Fall für die Virologen: was und womit haben wir es überhaupt zu tun? Sicherlich auch ein Fall für die Hygieniker: wie verbreitet sich das Virus? Natürlich eine Frage, die dann für Infektionsschutzmaßnahmen relevant ist, was aber ja eng gekoppelt ist, wenn wir jetzt mal bei den beiden wissenschaftlichen Bereichen bleiben mit der Frage: Ist es überhaupt notwendig, weil wir es mit einem sehr gefährlichen Virus zu tun haben? Diese Risikoeinschätzung ist ja schon eine, die im großen Feld der Wissenschaften aufgefächert ist. Ich kenne Herrn Exner nicht persönlich, aber ich schätze seine Expertise: In diesem Fall, was Hygiene angeht und auch, was die Verbreitung des Virus angeht. Aber im Grunde kann er ja gar nicht sagen, womit wir es eigentlich als Virus zu tun haben. Wie ist es dazu gekommen, dass die Wahl auf ihn gefallen ist?
Ashok Sridharan: Das war relativ einfach. Kommunale Aufgabe ist es ja nicht, einen Impfstoff zu entwickeln oder zu sehen, wie man von medizinischer Seite mit diesem Virus, mit dieser Pandemie zurechtkommt. Sondern unsere Aufgabe war es zu sehen, welchen Beitrag wir als Kommune leisten können, damit sich das Virus nicht oder jedenfalls nicht so stark weiterverbreitet. Welche Maßnahmen müssen wir dafür in die Wege leiten? Das heißt, der Virologe ist meines Erachtens der Ansprechpartner der Gesundheitsministerien auf Bundes- und Länderebene, der StIKo, des Robert-Koch-Instituts und des BfArM, während die Hygieniker die Ansprechpartner der Kommunen sind, um die Maßnahmen in die Wege zu leiten, die eine Ansteckung nach Möglichkeit verhindern. Und das eben von einer reaktiven Seite, nicht von der von einer medizinischen Seite her.
IwP: Bleiben wir gerne beim Pandemiethema: Jetzt hat nicht jede Kommune eine Universitätsklinik mit einem Hygieniker, aber war das ein Muster, was, was man auch im interkommunalen Austausch bei anderen beobachten konnte? Also sich ganz bewusst dazu zu entscheiden, nicht Virologen zu fragen, sondern jemanden, der sagt: Ich weiß, welche Infektionsschutzmaßnahmen ich empfehlen kann, ich bin aber nicht Virologe. War das eine bewusste Entscheidung, auch in anderen Kommunen?
Ashok Sridharan: Das kann ich nicht sagen. Wir haben natürlich auch mit Prof. Dr. Streeck Kontakt gehabt, der ist ja auch Professor an der Uni Bonn und Virologe am UKB und hat sich ja mit der Heinsberg-Studie durchaus in kommunale Themen eingearbeitet.
IwP: Das ist ja Kern unseres Themas. Also wie geht Wissenschaft bei der Kommunikation und Beratung vor? Wer wird als Experte – und jetzt kommt der entscheidende Punkt – zu welcher Frage befragt? Selten hören wir einen Experten, der sagt: Tut mir leid, das geht über mein Fachthema hinaus.
Ashok Sridharan: Ja, das ist wichtig. Auch da trennt sich die Spreu vom Weizen. Also bei denjenigen Menschen, die sagen: Zu dieser konkreten Frage kann ich selber nichts beitragen, da sind Sie bei meinem Kollegen oder meiner Kollegin mit dem Fachgebiet XY besser aufgehoben. Wir hatten bei Prof. Dr. Exner wirklich das große Glück, dass er genau der Richtige war für die Fragen, die wir im Krisenstab hatten, und dort war er wirklich sehr hilfreich.
IwP: Wenn ich noch einmal auf das andere Beispiel eingehen darf zum Cross-Border-Leases: Sie haben dort als Kommune den Rat eines Rechtswissenschaftler eingeholt, der sagen konnte, was die Konstruktion und Logik dahinter ist. Er konnte aber nichts zur Profitabilität sagen, er war kein Ökonom. War das auch eine bewusste Entscheidung? Oder war es erst einmal wichtig, sich rechtssicher zu bewegen? Und die Bewertung, ob das jetzt lohnenswert ist für die Kommune, wurde dann in Form von interner Expertise abgedeckt?
Ashok Sridharan: Es ist ein paar Jahre her, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, weil ich bei allen internationalen Gesprächen mit dabei war. Uns ging es damals in Königswinter in erster Linie darum, von einem Dritten, der jetzt nicht in einem Lager steht, zu hören: was sind die Vor- und Nachteile und worauf muss man achten, was soll man bedenken? Und das, was den Cross-Border-Verträgen immer vorgeworfen wurde, war einerseits: Keiner versteht, was da drinsteht. Andererseits: Es sind alles geheime Verträge, die nicht veröffentlicht werden dürfen, die Investoren wollen nicht genannt werden und die Risiken sind einfach zu hoch. Und das wollten wir als Stadtverwaltung eben mal herausgearbeitet haben: Wo steckt da der Teufel tatsächlich im Detail und wie kann man damit umgehen? Und da jemanden zu fragen, der sein Geld ausschließlich damit verdient, solche Verträge zum Abschluss zu bringen, war meines Erachtens falsch. Deswegen haben wir eine Kanzlei gesucht, die so etwas nicht zum ersten Mal macht und uns als Stadt begleiten kann. Dafür haben wir auch zusätzliches Geld in die Hand genommen, damit diese Kanzlei uns von A bis Z begleiten kann. Die wirtschaftliche Betrachtung, die haben wir selber vorgenommen. Ich sagte ja auch schon, ich habe immer den Ansatz gehabt, erstens alles zu verstehen und zweitens in der Lage zu sein, das auch den politischen Gremien selbst vorzutragen. Das habe ich auch die ganze Zeit gemacht und das war die Erwartungshaltung der politischen Gremien. Es ging ja nicht nur um Königswinter, sondern wir haben eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet mit einigen Kommunen aus dem Rhein-Sieg-Kreis und einigen Kommunen, die dem Aggerverband angehören, um einerseits das Transaktionsvolumen zu erhöhen und andererseits das Ganze auch von der Beraterseite her wirtschaftlich darstellen zu können. Denn die Berater, insbesondere die amerikanischen, die kosten schon richtig viel Geld. Wir hatten dann ein Transaktionsvolumen von 1,5 Milliarden US-Dollar, das habe ich mit zwei Co-Geschäftsführern gemeinsam verhandelt. Und da war es mir eben persönlich wichtig in den politischen Gremien, in denen ich das Projekt vorgestellt habe, wo ich mich für Fragen zur Verfügung gestellt habe, dass ich diese Fragen auch selber beantworten kann und nicht die Anwälte vorschicke. Trotzdem haben auch die Rechtsanwälte für Rückfragen sehr fundiert und geduldig zur Verfügung gestanden. Und das war schon sehr hilfreich und hat letztlich, glaube ich, dazu geführt, dass zwei Kommunen – zu mehr hat es keine Angebote von amerikanischen Investoren gegeben – diese Verträge abgeschlossen haben.
IwP: Nun waren dies Beispiele, bei denen durch externe Praktiker, also keine Wissenschaftler, beraten wurde. Aber Sie haben ja noch ein Beispiel angefügt, da ging es um die Wasserversorgung. Da möchte ich gerne die Formulierung aufgreifen, die Sie gewählt haben: Sie sprachen nämlich vom „Papst des Wasserrechts“, Prof. Dr. Salzwedel. Ich unterstelle aber, dass man wahrscheinlich Prof. Dr. Salzwedel ein Stück weit auch aus der Motivation heraus konsultiert hat, um der Gegenposition einen „großen Namen“ gegenüberzustellen.
Ashok Sridharan: Also Motivlage war, dass ich aus meinem Studium wusste, dass er da der absolute Spezialist ist, und ich einfach angeboten habe, zu ihm den Kontakt zu suchen. Ich habe ein erstes Gespräch mit ihm geführt und ihn gefragt, ob er das machen würde und wie seine erste Einschätzung ist. Und ich glaube, wenn seine erste Einschätzung jetzt völlig anders gewesen wäre, hätten wir noch einmal darüber nachgedacht, ihm den Auftrag zu erteilen. Es ging schon auch darum, eine namhafte Persönlichkeit, die einfach auch respektiert wird, weil sie eine namhafte Persönlichkeit ist, damit zu beauftragen. Denn wir hatten natürlich die Hoffnung, dass da bei einer wissenschaftlichen Untersuchung bestätigt werden kann, dass die Löschwasserversorgung nicht nur Aufgabe der Kommune ist, sondern auch des Wasserversorgers. Und das hat Prof. Dr. Salzwedel in dem ersten Gespräch schon direkt gesagt.
IwP: Mein Eindruck ist, dass die genannten Beispiele jeweils drei unterschiedliche Motivlage hatten: Beim ersten Beispiel geht es glaube ich nicht um die Wissenschaft, sondern eher um eine praxisorientierte und rechtliche Expertise von außen. Dann um eine für Sie als Juristen wahrscheinlich auch völlig fremde Materie des Hygienikers, der erst einmal einordnen muss, womit wir es hier zu tun haben, wo es auch erst einmal gar nicht um den Namen geht. Und zuletzt Herr Salzwedel, wo es natürlich auch ein Stück weit um den Namen ging.
Ich würde gerne noch einmal zurück auf die größere Ebene. Mich würde Ihre Meinung interessieren, weniger als ehemaligen Kommunalpolitiker und auch Profi für kommunale juristische Fragen, sondern eher als Staatsbürger: Wie ist Ihre Wahrnehmung nach zwei Jahren Pandemie zu der Entwicklung vom Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Politik? Es gibt ja große Kontroversen darüber. Findet vielleicht auch eine Kompetenzverschiebung statt? Hier müssen wir ja auch aus staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht darüber nachdenken, wer legitimiert ist, Entscheidungen zu treffen. Nimmt zu viel Expertise nicht am Ende denjenigen die Entscheidung ab, die dafür vom Wähler beauftragt sind?
Ashok Sridharan: Das kommt ja immer drauf an, wer sich da beraten und begleiten lässt. Ich glaube, dass unsere ehemalige Bundeskanzlerin Frau Merkel, die ja selber Wissenschaftlerin war, sich die Entscheidung nicht hätte abnehmen lassen, sondern dass sie sich tatsächlich wissenschaftlichen Rat eingeholt hat, um eine Entscheidungsgrundlage für sich selber zu haben. Das ist auch der richtige Weg. Ich kann nicht hingehen als gewählter Vertreter eines Landes oder des Bundes und die Entscheidung aus der Hand geben, also die Emanation der Entscheidungsgewalt – das halte ich für den falschen Weg. Aber ich halte es für definitiv richtig, Rat von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft einzuholen. Wobei ich da eben auch darauf achten muss, wen ich frage.
IwP: Für wie wichtig halten Sie die Frage von Evidenz als Entscheidungsgrundlage im Bereich der Kommunalpolitik?
Ashok Sridharan: Wissenschaft kann dazu beitragen, dass etwas evident wird. Aber wenn es schon evident ist, dann ist in der Kommunalverwaltung die Neigung nicht so groß, sich das auch noch einmal bestätigen zu lassen. Aber es gibt eben viele Dinge, die gerade nicht evident sind. Und für diese ist dann wissenschaftliche Expertise enorm hilfreich.
IwP: Vielen Dank! Als letzte Frage: Was glauben Sie, mit Blick auf die Themen, zu denen wir uns hier ausgetauscht haben, wo kann das Institut für wissenschaftliche Politikberatung einen Beitrag leisten?
Ashok Sridharan: Also ich sehe einen klaren Mehrwert. Sie hatten ja gesagt, dass keine Beratung erfolgt durch das IwP. Aber es könnte eine Beratung erfolgen bei der Auswahl von Beratern. Dies von einem unabhängigen Institut wäre, so glaube ich, ein Gewinn für Auftraggeber wissenschaftlicher Studien.
IwP: Das ist ein interessanter Punkt über den wir einmal nachdenken werden. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Ashok Sridharan war Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn. Zuvor war er mehr als 20 Jahre in verschiedenen kommunalen Führungspositionen tätig, u.a. von 2002 bis 2015 als Erster Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Königswinter. Seit Januar 2021 ist er als Rechtsanwalt bei Busse & Miessen tätig.